„Ich biete nun Euer Wohlgeboren dieses Manuscript an …“

Wilhelm Hauff zum 200. Geburtstag


Mitte April des Jahres 1825 erhielt der Stuttgarter Verleger Heinrich Erhard, Inhaber der Metzler'schen Buchhandlung, folgenden Brief:

Euer Wohlgeboren,
habe ich die Ehre anbey das Manuscript des Mährchen-Almanachs auf das Jahr 1826, zuzusenden. Erlauben Sie daß ich den Plan deßselben noch einmal wiederhole. Es ist für Mädchen oder Knaben von 12–15 Jahren und giebt 7 meist orientalische Mährchen, wie sie für dieses Alter paßen; ich habe versucht sie so intereßant als möglich zu machen, habe dabey das streng-sittliche immer beobachtet ohne jedoch die Mährchen auf eine Nutzanwendung oder „fabula docet“ hinauslaufen zu laßen. Das Ganze zu welchem noch ein Vorwort gehört, möchte meiner Meinung nach 12–15 Drukbogen geben, sollte das Manuscript nicht zu 12 Bogen reichen so wünsche ich zwischen dem 4 u. 5ten noch ein Mährchen einzuschalten. Das gewöhnliche Almanachs Format und eine gewiße Eleganz im Aeußern würden das Buch sehr empfehlen. Einige Kupfer zu welchen sich Stoff genug findet würde ich dazu wünschen, doch folge ich in dieser Hinsicht gerne Ihrem, als des Erfahrenem, Rathe.

Ich biete nun Euer Wohlgeboren dieses Manuscript an; weit entfernt meine eigene Arbeit zu preißen mache ich Sie nur darauf aufmerksam, daß die Idee eines solchen Almanachs neu und besonders in höheren Ständen vielleicht nicht unwillkommen ist, daß die Mährchen alle neu erfunden, keine ältern Geschichten wieder erzählen, daß endlich das Ganze unter dem Titel der Caravane von Mecca immer benüzt werden kann.

Ich schließe mit der Bitte mich nicht allzulange auf Antwort warten zu laßen und bin
mit vollkommener Hochachtung
Euer Wohlgeboren
Gehorsamer Diener
Wilhelm Hauff.

Dieser Brief ist die Geburtsurkunde einer literarischen Karriere, die ihresgleichen sucht. In knapp drei Jahren schrieb Hauff drei Romane, drei Märchenbücher, sieben Erzählungen sowie zahlreiche Gedichte, Feuilletons und Rezensionen. Ein Werk, das ihn vielen als frühvollendetes Genie und als große Hoffnung der in der Restaurationsperiode erstarrten deutschen Literatur erscheinen ließ. Doch gab es durchaus auch Stimmen, die dem jungen Autor schamlose Anpassung an den literarischen Markt vorwarfen, oberflächliche Tagesschriftstellerei, ja ihm sogar unterstellten, sich durch literarische Skandale einen Namen machen zu wollen. Dieser Streit der Zeitgenossen hat bis in die literarhistorischen Bewertungen hineingewirkt, so dass man noch heutigentags den unterschiedlichsten Einschätzungen Wilhelm Hauffs begegnen kann.
Eine bislang nur wenig genutzte Möglichkeit, ihm als Person und Autor und mithin auch seinem Werk näher zu kommen, bieten Briefe wie der eingangs zitierte. Abgesehen von ihrem ja durchaus sprechenden Inhalt geben sie Informationen über die jeweilige Lebenssituation Hauffs, sein Umfeld, seine persönlichen Beziehungen. Erhard etwa notierte auf die Rückseite des Briefs „Hauff Mag. bey Präsidt Hügel“. Das bedeutet, dass der damals 22-jährige Tübinger Magister der Theologie als Hauslehrer beim württembergischen Kriegsminister, dem Freiherrn von Hügel tätig war. Sein Werdegang bis dahin ist schnell erzählt. Wilhelm Hauff entstammt einer württembergischen Beamtenfamilie, er wurde 1802 in Stuttgart geboren, wuchs aber in Tübingen auf. In Blaubeuren besuchte er das Seminar, in Tübingen als Stiftler die Universität – eine schwäbische Allerweltslaufbahn, die allerdings in gleicher Weise auch Friedrich Hölderlin, Eduard Mörike oder Hermann Kurz absolvierten. Dann aber erfolgte der unvermittelte Übergang von den engen Studierstuben aufs gesellschaftliche Parkett der großen Welt und in die höheren Kreise Stuttgarts, das im frühen 19. Jahrhundert eine Kunst- und Literaturstadt von Rang war.

Das sichere Auftreten, die bestimmte Ausdrucksweise des angeführten Briefes („wünsche ich“, „mit der Bitte mich nicht allzulange auf Antwort warten zu laßen“) verraten den Einfluss von Hauffs neuem gesellschaftlichen Umgang. Derlei lässt sich in seiner Korrespondenz nun zunehmend feststellen, denn die bis dahin vorherrschenden Freundesbriefe in locker studentischem Ton verlieren sich allmählich und an ihre Stelle tritt ein durchweg literarischer Briefwechsel mit Redakteuren, Verlegern und Herausgebern. Der angehende Autor suchte sich eine Stellung im Literaturbetrieb zu erkämpfen; zu diesem Zweck schmeichelte er, wo es nötig, und forderte, wo es möglich war, den eigenen Vorteil stets sicher im Blick. Während der zweiten Jahreshälfte 1826 führte ihn eine große Reise erst nach Paris und dann nach Norddeutschland. Allerdings ging es dabei weniger um Bildung und Vergnügen als vielmehr darum, literarische Kontakte zu knüpfen und den Markt für eine Anstellung bei einer Zeitschrift oder einer Universität zu sondieren. Sobald Hauff wieder in Stuttgart eintraf, war es soweit: er wurde Leiter des Cotta’schen Morgenblatts, der damals angesehensten Kulturzeitschrift Deutschlands, so dass man meinen könnte, die lange Reise wäre gar nicht nötig gewesen – hätte der neue Redakteur seinen Chef, den Großunternehmer Cotta, nicht erst durch zahlreiche Konkurrenzangebote, die er aus ganz Deutschland mitbrachte, überzeugen müssen. Neben seiner Haupttätigkeit wurde ihm auch noch die Herausgeberschaft des viel gelesenen Taschenbuchs für Damen anvertraut, so dass sich Hauff nunmehr an maßgeblicher Stelle im Cotta’schen Verlags- und Presseimperium positioniert hatte. Es ist eine müßige, aber interessante Frage, wie seine weitere literarische Karriere verlaufen wäre, ob er sich, Literat neuen Typs, der er war, zu Heine'scher Größe hätte aufschwingen können – wohl dann doch nicht –, oder ob er in den Niederungen der Unterhaltungsschriftstellerei und des Lohnjournalismus versackt wäre – wohl ebenso wenig. So aber starb Hauff knapp 25-jährig, und sein Charakterbild schwankt, von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, immer noch in der Literaturgeschichte.

Lässt man sein Werk Revue passieren, so scheint heute doch vieles zeitverhaftet, was indessen ein Lektürevergnügen, wenn man sich denn drauf einlässt, ja keineswegs ausschließt. Die Mitteilungen aus den Memoiren des Satan sind eine muntere Universitäts- und Literatursatire. Der Mann im Mond liest sich wie ein süßlicher Schmachtfetzen, gewinnt aber sofort an Interesse, wenn man weiß, dass Hauff damit einen berühmten Modeschriftsteller bloßstellte, indem er das Buch unter dessen Namen veröffentlichte. Der reißende Absatz des Schmökers führte zum Skandal, zum Prozess, zur öffentlichen Diskussion und schließlich zu der Frage, ob der Roman denn auch wirklich von vornherein als Parodie angelegt gewesen sei oder ob Hauff nicht vielmehr eine ernst gemeinte Imitation einschlägiger Bestseller habe schreiben wollen. Lichtenstein gilt als erster historischer Roman Deutschlands; das Buch ist eine geschickte Nachahmung des damals überaus populären Walter Scott, die sich stark vom schwäbischen Regionalbewusstsein nährt und die Alblandschaft zwischen Stuttgart und Ulm feiert. Zum Monument seines Erfolges wurde die neu errichtete Burg Lichtenstein, die den Schauplatz nun der Romanwirklichkeit nachbildete. Von Hauffs Novellen ist Jud Süß hervorzuheben, eine Fallstudie über den Konflikt des jüdischen Höflings mit der württembergischen Gesellschaft, bei der sich noch Veit Harlan für seinen antisemitischen Hetzfilm bediente, und Das Bild des Kaisers, worin die hochbrisante zeitgenössische Napoleondiskussion verarbeitet ist.

Weit übertroffen an Bedeutung und Popularität wird dies alles jedoch von Hauffs Märchen, von denen etliche fest in den Bestand der Weltliteratur eingegangen sind. Die Geschichte vom Kalif Storch oder Der Zwerg Nase, Die Geschichte von dem kleinen Muck oder Das kalte Herz – schon die Titel dürften im wahrsten Sinne des Wortes jedem Kind geläufig sein. Diese Märchen erschienen in drei so genannten Almanachen, einer Art Jahrbuch, und über den ersten dieser Almanache verbreitet sich Hauff in seinem Brief an Erhard. Er nennt die Zielgruppe seiner Märchen (Mädchen oder Knaben von 12–15 Jahren), streicht ihre eher unterhaltsame als belehrende Tendenz heraus und pocht auf ihre Originalität (mit der es, wie die Quellenforschung ihm nachgewiesen hat, nicht allzuweit her ist). Auch was die buchtechnische Einrichtung seines Märchenalmanachs betrifft, tritt der Berufsanfänger Hauff dem erfahrenen Verleger gegenüber, allen Höflichkeitsbezeugungen zum Trotz, sehr selbstbewusst auf. Seine Umfangberechnung von 12 Bogen stimmt genau, die Illustrationen, die er hier als Buchschmuck „wünscht“, wird er in einem späteren Brief an Erhard empört wegen mangelnder Qualität zurückweisen und die gleichfalls geforderte „Eleganz im Aeußeren“ harmoniert geschickt mit dem Hinweis wonach ein solches Buch „in höheren Ständen vielleicht nicht unwillkommen ist“.

Der Titel des Ganzen schließlich, Die Caravane von Mecca, ruft sofort Fernträume hervor, belebt abenteuerliche Phantasiewelten, so wie es Ernst Bloch von dem Eingangssatz zu einem der Märchen behauptete: „Mein Vater hatte einen Laden in Basra“, und wie es auch für das Schlusswort des Almanachs gilt, eine grandiose Erkennungsszene übrigens und ein virtuoses Finale obendrein: „Man nennt mich den Herrn der Wüste; ich bin der Räuber Orbasan“.

Weitere Stärken des Hauff’schen Erzählens können hier nur angedeutet werden: Seine Kunst der Komposition etwa, also wie die einzelnen Märchen mit der Rahmenerzählung verknüpft sind, oder wie sie sich vom Geschehen, vom Stimmungsgehalt und vom Grad der Phantastik her aufeinander beziehen. Die sprachliche Gestaltung, die sich in ihrer kunstvollen Schlichtheit zuweilen schon Hebel‘schem Format annähert. Die geschickt erzeugte Spannung schließlich; sind doch Titel wie Die Geschichte vom Gespensterschiff oder Die Geschichte von der abgehauenen Hand geradezu Verheißungen, die den Leser unweigerlich ins Buch und dort weiter von Szene zu Szene ziehen.

Eine solche Faszinationskraft entwickeln Hauffs Briefe sicherlich nicht. Aber man erfährt durch sie manch interessante Einzelheit aus seinem Leben. Etwa wie aus einem alltäglichen jungen Mann plötzlich ein Schriftsteller von Weltgeltung wird.

Im Deutschen Literaturarchiv Marbach, wo der Nachlass des Dichters verwahrt und seine Korrespondenz gesammelt wird, ist man dankbar für Hinweise auf bisher unbekannte Briefe von oder an Wilhelm Hauff.

Zum Weiterlesen von Wilhelm Hauff:

Märchen und Novellen. Hrsg. und Nachwort von Otto Heuschele. Manesse Verlag, München / Zürich. 520 Seiten mit 67 Ill. von Wilhem Busch. 19,90 €

Sämtliche Märchen. Hrsg. von Hans-Heino Ewers. Reclam, Stuttgart. 463 Seiten mit den Ill. der Erstdrucke. Geb. 14,90 €, als UB 10,10 €
Lichtenstein. Fleischhauer & Spohn. Leinen. 16,80 €
(und viele andere Ausgaben)

Friedrich Pfäfflin, Wilhelm Hauff (1802–1827). Marbach am Neckar, 1999. (Marbacher Magazin 18). 112 Seiten, 9,20 €

Und zum Hören:

Der kleine Muck. CD mit Erzähler (Oliver Reinhard) und Musik für Fagott, Saxophon, Schlagzeug, Marimba und Klavier. 12,90 €

Kalif Storch. CD mit Erzähler (Christian Brückner) und Musik für Salonorchester. 15, 50 €

Zwerg Nase. CD mit Erzähler (Samuel Weiss) und Musik für Klarinette und Streichquartett. 15,50 €

(alle in der Edition See-Igel. Klassische Musik und Sprache erzählen, Iznang)



Von:
Helmuth Mojem, geboren 1961, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Zuletzt erschien von ihm: „Glükseelig Suevien …“. Die Entdeckung Württembergs in der Literatur (Marbacher Magazin 97).

Am 29. 12. – Hauffs 200. Geburtstag – spricht Helmuth Mojem bei den Stuttgarter Buchwochen über „Ein kurzes Leben für die Literatur“.