Krimis und Frauen

Gedanken über ein Genre

Von Christine Lehmann

In keiner Literaturgattung – den Liebesroman ausgenommen – sind Frauen als Autorinnen so anerkannt und in großer Zahl erfolgreich wie im Kriminalroman. Und im Grunde ist der Krimi nur die Kehrseite des Liebesromans: Ein soziales und psychologisches Drama zwischen zwei Menschen, Mann und Frau, die sich entweder lieben oder sich töten. Darum war, als die Verlage sich Anfang der 80er Jahre vom feministischen Kampfgeschrei Mitnahmeeffekte versprachen, der so genannte Frauen-Krimi eigentlich ein Pleonasmus. Wenn das Genre ihm auch die rothaarige Ermittlerin, die Kommissarin oder die lesbische Detektivin verdankt, also Protagonistinnen, die den traditionellen Gestalten Sherlock Holmes, Miss Marple oder Philip Marlowe eine andere Welt entgegensetzten.

Susanne Mischke, Trägerin des Wiesbadener Frauenkrimipreises 2001, meinte bei einer Lesung auf der Criminale 2002 auf die Frage, ob Frauen anders schreiben als Männer: „Diese Szene beim Friseur hätte kein Mann so schreiben können. Dafür machen Männer nie Fehler bei Autos.” Verschiedene Alltagserfahrungen und unterschiedliche Lebenswelten also. Doch weil der Kriminalroman von sozialen Konflikten im Privatleben handelt und weil Mädchen traditionell besser auf soziale Sensibilität trainiert werden, sind Frauen besser darauf vorbereitet, Krimis zu schreiben.

Als Arthur Conan Doyle im 19. Jahrhundert den Detektiv Sherlock Holmes und den Krimi erfand, ging es ihm ja nicht um zwischenmenschliche Konflikte oder Mordmotive, sondern um deduktive Logik nach naturwissenschaftlichem Muster. Er postuliert das Böse als gewissermaßen ursachenlose Variante des menschlichen Seins und erhebt den Detektiv zum genialen Gegenspieler des oft genialen Verbrechers. Ein mittelalterlich-christlicher Antagonismus, den Siegmund Freud um die Jahrhundertwende aufbrach, als er zeigte, dass das Böse ein Hilfeschrei der unterdrückten Kreatur ist. Das schärfte nicht nur in der Rechtsprechung den Blick für die soziale Herkunft des Täters, die im Extremfall zur Entschuldigung seiner Gewalttat führte und heute zu Recht Opferverbände auf den Plan ruft, es verschaffte dem Kriminalroman auch die Motivforschung.

Agatha Christie kam es erklärtermaßen auf die psychologische Begründung der Tat an. Wenn ihre Krimis auch eher mathematisch ausgeklügelt und psychologisch schematisch sind, so schuf sie doch mit Miss Marple die erste Frauenkrimikonstellation nach dem Friseur-Szenen-Prinzip: die neugierige Alte, die übers Strickzeug gebeugt dem Dorfklatsch zuhört, die Kennerin des alltäglichen Sozialdramas.

Agatha Christie erfand aber auch – für das groß angelegte Verbrechen außerhalb des englischen Dorfs – Hercule Poirot. Der wiederum fügt dem klassischen Antagonismus von Gut und Böse eine Variante hinzu, die den Krimi entgültig zum Mikrokosmos außerhalb der Realität macht. Hercule Poirot befürchtet nämlich gelegentlich, dass der Kriminelle seine Tat nur begeht, um Poirots Intelligenz auf die Probe zu stellen. So bekommt der Detektiv eine Mitschuld an der Existenz des Verbrechens. Ein Gedanke, der auch Dorothy L. Sayers bewegte. Ihr Lord Peter steht als Adliger unter ständigem Rechtfertigungsdruck für sein morbides Freizeitvergnügen.

Doch die Frage, ob das Verbrechen nicht womöglich nur existiert, weil es jemanden gibt, den es fasziniert, steht für eine besondere Gewissensfrage: Warum schreibe ich eigentlich Krimis? Warum denke ich mir aus, wie man jemanden umbringt? Sayers schrieb Krimis, um die finanzielle Grundlage für ihre christlichen Abhandlungen zu schaffen, die sie später veröffentlichte. Mit Mord zur Unterhaltung hatte nicht nur ihr Protagonist Schwierigkeiten.

Auch mir fällt es schwer, eine oder mehrere meiner Figuren umzubringen. Andererseits ist der klassische Kriminalroman eine hochmoralische Sache: Der Täter wird einer Bestrafung zugeführt. Doch wenn fünf Leute beisammen sitzen und sich herausstellt, dass ich Krimiautorin bin, dann taucht zu vorgerückter Stunde unweigerlich die Frage nach dem perfekten Mord auf, und man blickt mich erwartungsvoll an. Jeder Mensch – behauptet man gern – wünsche sich irgendwann einmal in seinem Leben, jemanden umzubringen. Aber wie? Du kennst dich doch da aus. Stimmt, ich weiß mehr als viele über die Wirkung von Gift. Und Kriminalisten vermuten, dass diejenigen Morde, die mit Gift ausgeübt werden, erstens von Frauen begangen und zweitens meist nicht einmal entdeckt werden. Im Fall von Morden mit Messern, stumpfen Gegenständen oder Schusswaffen sind die Täter zu weit über neunzig Prozent Männer (ihre Opfer übrigens zu achtzig Prozent Frauen), und die Aufklärungsquote liegt bei ebenfalls gut über neunzig Prozent.

Sind also wir Frauen die besseren Mörderinnen? Und wenn ja, warum? So manche treusorgende Ehefrau hat ihren Gatten auf dem Gewissen. Viele Kalorien, viel Cholesterin, Alkohol und Zigarren. Nach dreißig Jahren ist er tot, und sie geht straffrei aus. Zugegeben unbefriedigend, weil langwierig. Aber wir haben ja noch das Pilzgericht. Die Grundidee dahinter ist ganz einfach: Wer kocht, hat die Macht zu töten. Weshalb Könige sich Vorkoster hielten. Es ist unbewiesen, ob Frauen wirklich so oft unentdeckt morden, wie die Kriminologen vermuten. Aber die Vermutung ist symptomatisch für die Urangst der – sich bedienen lassenden – Männer, wir könnten uns eines Tages ihrer entledigen. Eine Befürchtung, die es auch dem Feuilleton leicht macht, die Kompetenz von Frauen auf dem Gebiet des literarischen Verbrechens anzuerkennen. Und so akzeptiert ein riesiges LeserInnen-Publikum Ingrid Nolls Gruselgeschichten vom lustigen Mord frustrierter Frauen in der Tradition von Patricia Highsmith und der unmoralischen Variante des Krimis.

Wenn das so ist, muss es aber auch Männer geben, die den Krimi zurückerobern. Raymond Chandlers Romane etwa weichen nicht nur vom deduktiven Krimi ab, sie sind vielmehr hochemotional, chaotisch und – frauenfeindlich. Philip Marlowes sexuelles Interesse gilt stets der Frau, die auf der falschen Seite steht, ihn hintergeht und verrät und sterben muss. Eine unendliche Reihe von Epigonen frönt in der Folge dem Traum des Antihelden, von einer Sexbombe begehrt zu werden, ohne sich um sie bemühen zu müssen. Und für ebendiese sexuelle Aktivität wird sie als Verräterin abgestraft.

Und warum? Klaus Theweleit hat darauf schon 1977 in seinem Standardwerk Männerphantasien die provokative Antwort gegeben: Männer töten Frauen, weil sie ihnen zu lebendig sind, zu chaotisch, zu eigenwillig. Das Kunstwerk dient dazu, die Frau ästhetischen Regeln zu unterwerfen und sie im statischen Bild einzufrieren. So entledigt sich – überspitzt formuliert – die schreibende Krimidame auf raffinierte Art der sich dominant gebärdenden Männer, während der Krimi schreibende Mann in seinem Ringen um Rückgewinnung der Allmacht, die eigensinnige Frau als Verräterin tötet.

Aber wohlgemerkt, der Krimi hat nichts mit der Realität zu tun. Er gehört wie der Liebesroman zu den Literaturgattungen mit dem strengsten Regelwerk für Dramaturgie und Plot. Doch in einer Zeit, in der Verlage ihre Krimireihen einstellen und Krimis als Romane kaschieren, zeigt sich, dass in einer an dramatischen Konflikten so armen Gesellschaft wie der unseren, der Krimi die einzige Fiktion ist, die im Mantel der Wahrscheinlichkeit noch vom zwischenmenschlichen Drama – Liebe, Hass und Verrat – erzählen kann.

In dem Maß, wie Krimis von Frauen skurril und verspielt werden und zur Steigerung der Verkaufszahlen zum klassisch-männlichen Protagonisten zurückkehren, kristallisiert sich auf der anderen Seite eine neue männliche Irrationalität heraus. Wie kaum ein anderer fasziniert derzeit Henning Mankell Millionen LeserInnen mit unerträglichen Grausamkeiten, die dem menschlichen Fleisch angetan werden. Das Böse kehrt überhaupt zurück in Gestalt des Serienmörders, der sich jeder Psychotherapie entzieht und damit jeder Psychologie. Er mordet ohne soziale Beziehung zum Opfer, losgelöst von aller Erklärbarkeit. Der Superverbrecher ist wieder da, doch sein Gegenspieler ist nicht mehr der geniale Detektiv, sondern ein allzu tumber Ermittler, dem die Autopanne mehr Kopfzerbrechen bereitet als die Aufklärung des Falls. Oder aber die Psychologin, immer in Gefahr, sein nächstes Opfer zu werden: Männer morden, Frauen sterben.

Die Frage aber nach dem perfekten Mord beantwortet ihnen übrigens besser ein Krankenwagenfahrer oder ein Bereitschaftsarzt. Beispiel: Er wird am Sonntagabend zu einem Toten gerufen, kennt die Krankengeschichte nicht, sieht aber jede Menge Herzmedikamente auf dem Nachttisch, und ein Angehöriger erklärt ihm, der alte Herr sei schon den ganzen Tag unwohl gewesen. Da denkt er nicht an ein Kissen, das man ihm aufs Gesicht gedrückt haben könnte, sondern kreuzt auf dem Totenschein „natürlicher Tod” an. Fachleute halten die Dunkelziffer solcher Morde für sehr hoch. Die meisten Morde sind ohnehin keine Morde, sondern Totschlag im Beziehungsstreit, und der Täter ist innerhalb von 24 Stunden ermittelt. Aber würden Sie so einen Krimi lesen? Ich nicht. Es geht ja nicht um die soziale Wirklichkeit.


Von:
Christine Lehmann, 1958 in Genf geboren. Studium der Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte mit Promotion in Stuttgart. Seit 1990 Nachrichtenredakteurin beim SWR und Autorin. Von ihr erschienen die Lisa-Nerz-Trilogie Der Masochist, Training mit dem Tod, Der Pferdekuss bei Rowohlt, der Hundekrimi Kynopolis bei Goldmann, die Softkrimis (Liebesromane mit Krimihandlung) Der Bernsteinfischer (Heyne) und zuletzt 2002 bei Knaur Der Winterwanderer. Beteiligung an Krimianthologien bei Rowohlt, Scherz und anderen.