Ausgabe: November/Dezember 2003 


Zurück zur Übersicht der Hefte
Zurück zur Übersicht Hefte 2003


 

Wenn es nicht Last ist, sondern Lebenslust, sich in verschiedenen Sprachen auszudrücken

Ein Gespräch mit Frank Albers und Maximilian Dorner

Feuer, Lebenslust! lautet der Titel einer Sammlung von “Erzählungen deutscher Einwanderer”, die im Frühjahr im Verlag Klett-Cotta erschienen und kürzlich im Rahmen der Stuttgarter Veranstaltungsreihe WeltLiteraturen präsentiert worden ist. Zusammengestellt hat den Band Maximilian Dorner, Jahrgang 1973, studierter Theaterwissenschaftler, zunächst Dramaturg des Münchner Prinzregententheaters und seit letztem Jahr bei Klett-Cotta als Lektor für junge Literatur zuständig. Gefördert wurde das Projekt von der Robert Bosch Stiftung, die seit langem deutsch schreibende Autoren fremder Herkunft mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis auszeichnet, der jährlich von der Bayerischen Akademie der Schönen Künste vergeben wird. Seit Dezember 2000 ist Frank Albers, Jahrgang 1968, Projektleiter bei der Robert Bosch Stiftung und u.a. für den Preis zuständig. Er hat in Berlin Germanistik und Kulturwissenschaften studiert und nach einer kurzen Zeit als Fernsehredakteur von 1998 bis Herbst 2000 das Goethe-Zentrum in Reykjavík geleitet.


Herr Dorner, wie kamen Sie auf die Idee zu dem Buch Feuer, Lebenslust! ?

M.D.: Frank Albers erzählte mir von den Überlegungen der Stiftung, die Chamisso-Preisträger über den Preis und die Förderung von Lesungen hinaus zu unterstützen, indem man ihnen Publikationsmöglichkeiten gibt. Da ich in einem Verlag arbeite, lag es nahe, dies dort zu versuchen – so entstand die Idee für dieses Buch. Mir war es wichtig, mit einem Band von Texten mehrerer Autoren zu beginnen, um auch die Wegstrecke neuerer Autoren bei Klett-Cotta einzuleiten.

Die Anthologie versammelt zehn AutorInnen verschiedenster Herkunft und aus unterschiedlichen Generationen, und es sind nicht alle Chamisso-Preisträger?

M.D.: Das war von Anfang an das Konzept: eine Mischung aus arrivierten Autoren und Debütanten, um die Spielarten dieser Literatur abzubilden, und der Band sollte auch ein Ort sein, wo künftige Preisträger ein erstes Forum finden.

Einige Autoren veröffentlichen hier überhaupt zum ersten Mal, der jüngste ist 1984 geboren, wie sind Sie an diese gekommen? Wie findet man solche Texte?

M.D.: Die Ausgangsbasis waren die Chamisso-Preisträger, unter denen wir eine Vorauswahl getroffen haben. Dann wurde recherchiert, bei Autoren, die bereits publiziert haben, bei interkulturellen Institutionen, bei jüdischen Zeitungen und so weiter. Mohammad Aref war eine Empfehlung aus dem Verlag und Richard Duraj kam aus einer der Literaturwerkstätten im Literaturhaus, die ja auch von der Robert Bosch Stiftung gefördert werden; Boris Kerenski, einer der Dozenten, hat mich auf dessen herausragende Begabung aufmerksam gemacht.

Herr Albers, haben Sie eine ungefähre Vorstellung, wie viele Autoren, die in fremden Ländern oder als Kinder fremder Eltern in Deutschland geboren sind, auf deutsch schreiben?

F.A.: Nein, da kann ich keine konkrete Zahl nennen, die Dunkelziffer ist enorm hoch, weil viele Autoren keine Möglichkeit haben zu veröffentlichen, noch weniger als andere, muttersprachlich deutsche Autoren. Deshalb ist dieser Band so wichtig, weil man einigen wenigen von ihnen zu einem Debüt in einem renommierten Verlag verhelfen kann. Es ist allerdings erstaunlich, wie viele Namen jedes Jahr der Jury vorgeschlagen werden, wie viele potentielle Chamisso-Autoren es gibt! Wir hatten anfangs Sorge, es würden jedes Jahr weniger werden, aber das Gegenteil ist der Fall, vor allem natürlich durch die Öffnung nach Osteuropa.

M.D.: Man merkt an den Preisträgern der letzten Jahre und an dem Band, dass die Phase der Gastarbeiter-Literatur abgeschlossen ist und eine neue begonnen hat. Die Autoren, die jetzt schreiben, bewegen sich zwar vor dem Hintergrund ihrer fremden Herkunft, aber das ist nicht mehr ihr Thema: der Fremde in Deutschland oder Deutschland als Einwanderungsland, das Schreiben ist nicht mehr nur Ventil für gesellschaftliche Probleme. Daher kommt eine thematische Verbreiterung zustande, denn die Motivation zu schreiben ist ähnlich vielfältig wie bei muttersprachlich deutschen Autoren.

F.A.: Wir haben eine ganz neue Autorengeneration, die zweite oder sogar dritte Einwanderungsgeneration, die zwar noch immer aus einem anderen kulturellen Kontext heraus schreibt, teilweise durch Familie oder Eltern anders geprägt ist, aber sie ist integraler Bestandteil der deutschen Gegenwartsliteratur.

Im Untertitel steht dennoch “Erzählungen deutscher Einwanderer”, was nebenbei auch an Goethe denken lässt …

F.A.: Es sind keine klassischen Einwanderer mehr, also nicht in physischem Sinne, sondern sprachliche Einwanderer, die neue Einflüsse in die deutsche Literatur bringen und neue Inhalte.

M.D.: Das Wort Einwanderer bedarf einer positiveren Konnotation, es hat heute mehr mit in Bewegung sein zu tun und kennzeichnet eine Generation von Autoren, die das Wandern als Wandern wahrnehmen, eine Station ist Deutschland, sie sind hier gelandet, aber könnten auch woanders hingehen.

Die Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten finde ich einen ganz spannenden Text von Goethe, weil er Geschichten in Unterhaltungen der Figuren einbettet. Das habe ich versucht, in dem Band aufzugreifen: Es gibt die Ebene des Gesprächs der Autoren, auf der sie über sich und über ihr Schreiben sprechen und auf einer anderen die Erzählungen selbst. Im Lesen von beidem, von Gespräch und Text, entsteht eine zusätzliche Deutungsebene.

Deshalb also stehen bei jedem Kapitelanfang die Namen aller zehn Autoren, und jeweils herausgerückt, wer gerade dran ist aus dem Kreis. Haben Sie ein gemeinsames Gespräch geführt?

M.D.: Nein, es ist ein fiktives Gespräch, ein postmodern entstandener Text, an dem man kollektiv immer weiter geschrieben hat. So kommen die Art, die Mentalität der Autoren gut heraus: manche haben Statements geschickt, andere haben diskursiv etwas dazu gesetzt.

Und was haben Sie vorgeben?

M.D.: Gar nichts, es war nur klar, das Thema wird auf das Schreiben in deutsch und in Deutschland herauslaufen, und das Motto lautete Lebenslust, nicht etwa Leiden an Deutschland. Der Titel Feuer, Lebenslust! ist eine Anspielung, die wahrscheinlich nur von Operettenliebhabern verstanden wird: Mit diesen Worten beginnt nämlich der Czardas von Rosalinde in der “Fledermaus”: “Feuer, Lebenslust schwellt mir die Ungar-Brust!”. Es ist der Versuch einer Deutschen, sich als Ungarin zu verkleiden, um Lebenslust fühlen zu können, also genau die Erwartung von feurig und Paprika. Das ist ein typisch deutsches Phänomen, sich Lebenslust nur in folkloristischer Verkleidung vorstellen zu können.

Wobei das Titelbild mit dem traurigen, androgynen Wesen dem etwas widerspricht …

M.D.: Das war der Versuch, ironisch zu sein…

Das Festival über Migranten-Kultur in Stuttgart ging eben zu Ende, und die Literatur hatte einen großen Anteil daran, beginnend mit Lesungen von Autoren jüdischer Herkunft, endend mit Ihrer Buchvorstellung. Ist Migranten-Literatur zur Zeit ein Thema?

F.A.: Mit Sicherheit ist es auch eine Modeerscheinung, wir merken es bei der wachsenden Zahl von Anfragen für Lesungen mit den Chamisso-Preisträgern in Schulen, Kulturämtern, Bibliotheken. Im Raum Nürnberg / Erlangen wird demnächst auch ein Festival mit Chamisso-Preisträgern stattfinden mit Lesungen an Schulen. Es ist wirklich attraktiv geworden, die Autoren in den Unterricht einzuladen, gerade zur Diskussion mit multilingualen Klassen. Gerade da sind die Chamisso-Autoren phantastisch gelungene Beispiele für gesellschaftliche und sprachliche Integration, die zeigen, dass man Karriere machen kann und sogar veröffentlicht wird. Im kommenden Oktober werden wir selbst Chamisso-Tage im Dreiländereck bei Basel durchführen und das Interesse ist nicht nur in Deutschland, sondern auch auf der schweizer und der französischen Seite groß.

Könnten Sie den Begriff der Chamisso-Autoren erläutern und die Funktion der Robert Bosch Stiftung?

F.A.: Die Idee des Chamisso-Preises entstand, angeregt durch Professor Harald Weinrich, 1984 aus dem, was man damals auch unter dem Schlagwort Gastarbeiter-Literatur zusammenfasste. Ein Begriff, den wir heute nicht mehr verwenden. Die ersten ausgezeichneten Autoren waren in der Mehrzahl klassisch Eingewanderte aus Italien und der Türkei, die hier begonnen haben zu schreiben. Oder es waren Exilautoren wie Ota Filip und SAID. Seit Mitte der 90er Jahre hat sich der Charakter des Preises mit einer neuen Autorengeneration langsam geändert: Für viele der neueren Preisträger ist Deutsch keine Fremdsprache mehr, aber sie stammen aus fremdsprachigen Familien. Anfangs hatte man das Konzept für den Preis auf nur fünf Jahre angelegt, inzwischen könnten wir uns nicht mehr vorstellen, diesen Preis wieder einzustellen, denn er hat sich etabliert mit 38 Preisträgerinnen und Preisträgern.

M.D.: Das Schöne daran ist nicht nur der Preis als eine Art Stipendium, sondern die Nachhaltigkeit, dass man die Autoren auch weiterhin betreut, das finde ich sehr wichtig.

F.A.: Wir befinden uns mit dem Preisgeld im Mittelfeld der Literaturpreise, aber die Begleitförderung, das heißt Lesereisen zu unterstützen und kleine Arbeitsstipendien zu vergeben, wäre sonst nicht möglich. Diese nachhaltige begleitende Förderung ist letztendlich der sinnstiftende Kern des Preises. Die Idee des Preises ist auch, eine Art Chamisso-Familie zusammen zu halten: der Verbund zwischen den Autoren ist erstaunlich eng, man trifft sich, telefoniert miteinander, freut sich auf die Treffen und die Ausstellung. Die Ausstellung, 1998 in Stuttgart gestartet, tourt mit Hilfe des Goethe-Instituts seither kreuz und quer durch Europa, sie war in Skandinavien, im Baltikum, ist jetzt in der Türkei und wird immer von Lesungen der Autoren begleitet, oft von denen, deren Wurzeln dort liegen, Zehra Cirak liest in Istanbul, Adel Karasholi wird nach Ägypten und Syrien eingeladen, denn die Menschen vor Ort finden spannend, was aus denen geworden ist, die vor zwei Generationen ausgewandert sind, wie sie sich entwickelt haben, ob sie noch Traditionen pflegen, das wird auch nicht ganz unkritisch betrachtet, gerade in der Türkei. Es bleibt mir aber wichtig zu betonen, dass bei Einladungen in den meisten Fällen doch die Qualität der Literatur im Vordergrund des Interesses steht, seltener die Biographie der Autoren.

Haben Sie den Eindruck, dass die jungen Migranten anders schreiben? Gibt es andere, neue Themen?

M.D.: Wie man in dem Band lesen kann, ist das Leitmotiv das Fremdsein, aber es wird nicht mehr an gesellschaftlichen Problemen gespiegelt, sondern am Individuum. Alle Protagonisten sind irgendwie fremd, aber beim Schreiben selbst gibt es eine unglaubliche Bandbreite, auch bei der Behandlung von Sprache. Ich habe den Eindruck, dass der Stellenwert der eigenen Sprache umso wichtiger ist, umso weniger selbstverständlich man mit ihr umgeht, das heißt, die Autoren, die Deutsch als zweite Muttersprache aufgenommen haben, gehen mit ihr sehr sensibel, konzentriert und auch komplex um, reizen die Sprache aus, wollen bis in alle Verästelungen wissen, was möglich ist, während für die mit dem Deutschen aufgewachsenen Schriftsteller die Sprache eher nebensächlich ist.

F.A.: Wenn Mohammad Aref sagt, er würde im Persischen anders erzählen, dann merkt man eine bildungsbürgerliche Generation, die sich auf ihre Heimatliteraturen beruft, während Selim Özdogan oder Zoran Drvenkar nicht auf einen Literaturkanon ihres Herkunfslandes zurückgreifen. Es ist ein Unterschied, ob ein Autor aus dem Bildungsbürgertum stammt oder nicht. Eine aktuelle Erscheinung ist, man sieht es an populären Autoren wie Wladimir Kaminer, bewusst mit dem Element des Fremden zu spielen, einen Akzent beizubehalten oder künstlich zu pflegen. Damit spielen auch einige unserer Preisträger, der Markt verlangt es, was ich schade finde, obwohl man sehr erfolgreich mit dieser Masche sein kann.

M.D.: Das ist Grundproblem der heutigen Literaturszene, dass man als Autor nicht mehr von seinem Text leben kann, sondern sich in irgendeiner Form gut vermarkten muss …

Wobei ja auch Adelbert von Chamisso zeitlebens mit starkem französischem Akzent gesprochen haben soll. Wie sieht die Förderung von Chamisso-Autoren der Robert Bosch Stiftung über diese Projekte hinaus aus?

F.A.: Ein anderer Teil unserer Förderung im Chamisso-Umfeld ist beispielsweise die Katalogisierung und Ergänzung einer Bibliothek, die von Harald Weinrich, dem Leiter des Instituts für Deutsch als Fremdsprache an der Universität München initiiert und von seiner Mitarbeiterin Irmgard Ackermann aufgebaut wurde. Als diese umfangreiche Sammlung mit Büchern, Manuskripten, Korrespondenzen etc. einen neuen Platz suchte, bot sich das Deutsche Literaturarchiv in Marbach an, wo es jetzt der Forschung zur Verfügung steht. Das Chamisso-Preis-Archiv wird dort vom Deutschen Literaturarchiv weiter ausgebaut und mit unserer Hilfe derzeit katalogisiert, restauriert und über den Internet-Katalog weltweit zur Verfügung gestellt.

Und wie geht es bei Klett-Cotta weiter: folgt eine weitere Anthologie?

M.D.: Es wird im Herbst einen Roman von Zoran Drvenkar geben, der Großteil der Autoren des Bandes möchten mit dem Verlag weiterarbeiten und allein mit diesen Kontakten wird sich in den nächsten Jahren einiges ergeben. Auch Lyrik ist mir persönlich sehr wichtig, die ist meist förderungsbedürftig und wäre wahrscheinlich überhaupt nur in Zusammenarbeit mit der Robert Bosch Stiftung realisierbar. Eine junge Lesergeneration gerade mit diesen Büchern zu erreichen, passt zum europäischen Profil des Verlags Klett-Cotta. Wenn wir es schaffen würden, dass man bemerkt, es ist keine Belastung, sondern selbst Lebenslust, sich in verschiedenen Sprachen auszudrücken, also eine Kompetenz der Mehrsprachigkeit zu pflegen – was will man mehr?!



Zum Weiterlesen:
Feuer, Lebenslust! Erzählungen deutscher Einwanderer. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2003. 261 Seiten, 12,50 Euro

Viele Kulturen – Eine Sprache. Die Preisträgerinnen und Preisträger des Adelbert-von-Chamisso-Preises der Robert Bosch Stiftung 1985–2003. Überarbeitete Neuauflage, Stuttgart 2003 (kostenlos erhältlich in der Buchhandlung im Literaturhaus und bei City Buch, Marienstraße 12)

Zur Recherche im Chamisso-Preis-Archiv:
www.dla-marbach.de/kallias/aDISWeb/ak/index.html, dann unter Art und Inhalt „Chamisso-Preis-Sammlung“ anklicken.

Die Fragen stellte Irene Ferchl.


Zurück zur Übersicht der Hefte
Zurück zur Übersicht Hefte 2003