Ausgabe: November/Dezember 2003 


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Von Bleisatz und Laserdruck, Roten Fäden und der Warmbronner Edition

Ein Gespräch mit dem Verleger und Antiquar Ulrich Keicher

Wenn am ersten Oktober-Wochenende in Warmbronn gefeiert wird, gibt es eigentlich drei Anlässe: 20 Jahre Verlag Ulrich Keicher, 30 Jahre Warmbronner Antiquariat und – ein paar Monate verspätet – den 60. Geburtstag des Protagonisten. 1943 in Stuttgart geboren und in Leonberg-Eltingen aufgewachsen, lebt und arbeitet er seit langem in Warmbronn, in unmittelbarer Nähe des Hauses von Christian Wagner, dessen zweibändige Werkausgabe er in diesem Frühjahr im Wallstein Verlag herausgegeben hat. Im Verlag Ulrich Keicher sind seit Beginn 175 Publikationen erschienen, teils gebündelt in Reihen wie dem berühmten ”Roten Faden” oder der ”Warmbronner Edition”, dazu einige Einblattdrucke und Originalgraphiken. Alles wird von Friedrich Pfäfflin jetzt in einer Bibliographie versammelt und in einer Ausstellung im Christian-Wagner-Haus zu sehen sein.


Zur Zeit entsteht im Verlag Ulrich Keicher ein Buch, das, was Umfang und Aufwand anbelangt, alles bisherige sprengt: eine Bibliographie der illustrierten Bücher von Gunter Böhmer. Wie kam es dazu?

Eigentlich ist mit diesem Gesamtwerk ein Bogen geschlagen zum Beginn meiner buchhändlerischen Selbstständigkeit, denn wenn ich 1973 Gunter Böhmer nicht als Illustrator für eine Christian-Wagner-Ausgabe gewonnen hätte, die damals bei Theiss erschienen ist, dann gäbe es meinen Verlag vielleicht gar nicht, geschweige, dass dieses Werk entstanden wäre. Denn der Kontakt zu Böhmer und dessen Werk ist seither geblieben, im Antiquariat hat er ohnehin immer eine Rolle gespielt. Diese Ausgabe jetzt ist ein Prototyp geworden für meine Herstellungsmethode der letzten sieben Jahre, selbst gesetzt, selbst gedruckt, selbst gebunden, am PC und in der Druckerei im Haus, im Laserdruck.


Das ist doch ”desk top publishing”?! Begonnen hat der Verlag aber ganz traditionell mit Bleisatz und Buchdruck – wie hat es denn genau angefangen?

Wie fängt so was an? Meistens nicht sehr professionell, es waren Autorenkontakte und die Galerie No. 6 in Leonberg. 1976 haben wir Kurt Heynicke, den damals ältesten noch lebenden Expressionisten der Menschheitsdämmerung zu einer Lesung eingeladen, ich habe ihn persönlich von Freiburg nach Leonberg gekarrt und wieder zurück, das war die Initialzündung, der Aufhänger, sonst hätte ich wohl nicht den Verlag angefangen und keine Lesungen für die Christian Wagner-Gesellschaft gemacht. Ich kam wegen der Kunst in die Galerie von Beatrix Wilhelm und mit ihr und ihrem Mann Karl Wilhelm, einem Druckereibesitzer, ins Gespräch, sie interessierten sich für Literatur, wollten Lesungen veranstalten und unterstützten meine Idee, keine Lesung ohne Dokumentation zu machen. So begann die Reihe ”Schriftsteller in der Galerie No. 6”, was ich heute als Vorläufer des späteren Verlags bezeichnen würde. Die Wilhelms haben den Raum zur Verfügung gestellt und gedruckt, und ich habe alles andere gemacht, sogar manches in der Druckerei selber gesetzt, allerdings am Anfang habe ich noch eine eigene Schrift verwendet, eine schweizerische Schreibmaschinenschrift, die gar nicht schlecht aussah. So bin ich in die Arbeit des Machers und Herstellers hineingewachsen.


Eigentlich waren Sie ja Buchhändler …

Ja, unter anderem in Freiburg, wo ich noch an der PH studierte und nebenher Buchhändler war. Von dorther stammten auch einige Autorenkontakte. So hatte ich den schon erwähnten Kurt Heynicke kennengelernt, auch Erhart Kästner. Zu den ersten Galerie-Lesungen eingeladen haben wir Gerd Gaiser, leider verstarb er vor dem Termin, so dass von der Nummer 2 der Galerie-Hefte nur ein Umbruchexemplar existiert. Der dritte war Werner Dürrson, ihn kannte ich seit 1968, denn er hatte einen schönen Artikel über Christian Wagner geschrieben. Über ihn entstand der Kontakt zu Hannelies Taschau, die wie er selbst bis heute im Verlag geblieben ist. Zu Lesungen kamen dann Hermann Lenz aus München, Ota Filip, Renate Schostack, Johannes Poethen, Herbert Heckmann, Walter Helmut Fritz, und zu allen erschienen kleine Publikationen, fast alles Erstveröffentlichungen, auch eine frühe Erstausgabe von Friederike Roth. Die letzte, die Nummer 16, war 1982 von Kurt Leonhard, danach beendete die Galerie ihre Leonberger Aktivitäten.


Also haben Sie damals bereits publiziert, was der Verlag Ulrich Keicher bis heute im Untertitel trägt: ”Moderne Literatur in Erstausgaben”. Wie kam es dann zur Gründung des eigenen Verlags?

Das Antiquariat war 1973 in Warmbronn gegründet worden und die Firmierung in den Galerie-Heften hieß ”Galerie Nummer 6 und Warmbronner Antiquariat”. Mir hat es dann zwischenzeitlich in Warmbronn nicht mehr gefallen, es gab persönliche Umbrüche. So zog ich, durch die Vermittlung eines Kollegen, 1983 auf das Schloss nach Scheer an der Donau im Oberschwäbischen.


Dann haben Sie quasi am Ende der Welt, in Scheer im Schloss gesessen und sich gesagt, jetzt mache ich einen Verlag?

Ich hatte zwar das Antiquariat mitgenommen, aber nicht sehr intensiv betrieben, es war offen, ob ich das weitermache. Aber das erste Buch war eine bewusste Entscheidung. Ich hatte bereits die Kontakte zu den Autoren, und die ersten fünf Titel, von Herbert Heckmann, Werner Dürrson, Hannelies Taschau, Johannes Poethen und Hans Jürgen Heise sind in Scheer erschienen. Ich habe die Bücher selber gesetzt, den Heckmann im Fotosatz in der Hochschule in Offenbach, die andern in einer Setzerei und Druckerei der Umgebung, die dann auch druckte.


Und wie haben Sie diese Bücher vertrieben?

Ich wusste noch nicht, wie das läuft, und hatte die hohe Auflage von tausend Stück gedruckt, deshalb sind die fünf ersten Bücher auch alle noch lieferbar. Dann bin ich als mein eigener Vertreter gereist, bei Weise’s Hofbuchhandlung wurde was abgenommen, sonst hat es in keiner Buchhandlung funktioniert. Das war also meine erste Erfahrung, dass es über den Buchhandel so nicht geht.
Dann wurde in Scheer geheiratet, wir sind Ende 1985 nach Warmbronn gezogen, und dort wurde die neue Idee geboren, nicht mehr in tausender Auflage und Taschenbuchformat zu publizieren, sondern die Reihe ”Roter Faden” zu heißen und als Kleinauflage von 200 Stück zu drucken.


Es war die Reihe, die den Verlag bekannt gemacht hat: Der „Rote Faden“ in Bleisatz. Aber daneben sind immer auch andere Sachen erschienen …

In jener Zeit, 1986, habe ich Gerd Henniger kennen gelernt, er war Stipendiat im Stuttgarter Schriftstellerhaus, und von ihm habe ich erst einen Einblattdruck gemacht und im Jahr darauf kurze Texte – Träume. Speziell dazu hat Christoph Meckel sieben Zeichnungen geliefert, das war dann auch die erste Publikation mit Meckel. Die Roten Fäden sind hintereinander gelaufen, beginnend mit Werner Dürrson, Wie ich lese, gefolgt von Jürgen Muck, Poethen, Heckmann, Zsuzsanna Gahse, Reinhard Gröper, Uta-Maria Heim, Wulf Kirsten und so weiter.


Verkauft wurden die Bücher nicht über den Buchhandel, aber wie denn dann?

Als wir 1985 nach Warmbronn kamen, habe ich das Antiquariat wieder stark aktiviert, einige Kataloge hintereinander gemacht und noch ausschließlicher mit moderner Literatur, meist Bücher nach ’45. Den Katalogen habe ich meine Verlagsverzeichnisse beigelegt, und es hat sich gezeigt, dass es ein und diesselbe Kundschaft ist, das hat sich bis heute gehalten, es ist eine Nische. Ich habe heute das Angebot im Katalog so spezifiziert, dass ein Autor wie zum Beispiel Meckel von seinen raren antiquarischen Büchern über modernes Antiquariat bis zu neuen Titeln in anderen Verlagen und meinen Publikationen vertreten ist, also mit seinem Gesamtwerk.


Sieht man denn heute in Buchhandlungen Ihre Verlagsproduktion?

Selten, eigentlich nur in Freiburg bei Wetzstein und in München bei Dichtung und Wahrheit, in Stuttgart führen die Büchergilde und die Buchhandlung im Literaturhaus das Programm, nicht alles, aber vieles. Doch Einzelbestellungen von Buchhandlungen kommen natürlich, da die Titel alle im Verzeichnis lieferbarer Bücher angemeldet und somit auffindbar sind.

Den ”Roten Faden” hatte ich im Abonnement für einen leicht reduzierten Preis angeboten, und bis zu hundert Exemplare, die Hälfte der Auflage, ging so weg. Und es gibt bis heute einige Kunden, die das gesamte Verlagsprogramm bekommen.


Der ”Rote Faden” war etwas ganz Besonderes durch den genialen Namen und in der Herstellung …

Der Ausgangspunkt war die Entdeckung, dass man am meisten spart, wenn man Satz und Bindung selber macht, denn dies zusätzlich zum Druck nach Außen zu vergeben, hätte sich finanziell nicht getragen. So ist es bis heute geblieben, wobei durch die moderne Technologie inzwischen alles noch viel günstiger geworden ist. Der Bleisatz hat natürlich gekostet, aber Spaß gemacht, zuerst realisiert in dem Buch von Editha Pröbstle mit zwölf farbigen Originalholzschnitten zu Gedichten und Briefen von Eduard Mörike, Und wärs auch nur in Scheer. Von 1986 an hat der Maschinensetzer Alwin Maisch in Gerlingen den Bleisatz übernommen und auch gedruckt, als er dann 1996 altershalber aufgehört hat, ging es grade mit dem Laserdruck los. Und dann hatte ich auch genug vom ”Roten Faden”, wollte vielfältiger, farbiger werden. Die Nummer 44 war von Matthias Politycki, er wollte der letzte sein, mit der Bifi-Wurst.


Ein würdiges Ende, aber die Verlagsproduktion ist danach nicht geringer geworden, im Gegenteil …

So viele Titel, wie ich jetzt grade mache, das sind zuviel. Anfangs waren es zwei bis drei im Jahr, dann 1987 mal zwölf, 1992 ebenfalls, 1996 sogar 15, aber sonst zwischen fünf und neun. Inzwischen, seit 1998 werden es im Schnitt mehr, von 10, 11 bis 13 und darüber, ich muss einhalten.


1999 haben Sie den Landespreis für ambitionierte kleine Verlage erhalten, hat das was in der Öffentlichkeit bewirkt?

Es gab eine Handvoll Leute, die sich daraufhin fürs Programm interessierten, aber mehr nicht.


Ich wüsste noch gerne was über die Reihe ”Warmbronner Edition” …

Es war dabei, als Nachfolger des ”Roten Faden”, an eine besser ausgestattete Reihe gedacht, möglichst mit Graphik. Jeder einzelne Titel wird immer ganz individuell von dem Typographen Rainer Leippold gestaltet, doch diese Titel müssen dann in einer Druckerei gedruckt werden. Angefangen hat die Warmbronner Edition 1993 mit Hennigers Punkt des Archimedes, ging weiter mit Schaffernichts Gereiztes Land mit 2 Unikat-Zeichnungen in einer Auflage von nur 90 Stück, dann kamen Johannes Kühns Märchen Wenn die Hexe Flöte spielt mit farbig einmontierten Bildern, Gudrun Partyckas 16 Kafferelle, aufwendig im Lichtdruck hergestellt, dazwischen ein Bändchen mit Briefen und Zeichnungen von Hildesheimer, teils handkoloriertWas ist eigentlich ein Escoutadou?


Kehren wir zurück zum grössten Projekt, der Gunter-Böhmer-Bibliographie …

Es ist, wie gesagt, ein überdimensionaler Prototyp für meine heutige Arbeitsweise. Die 578 Zeichnungen in dem Buch hat Susann Rysavy, basierend auf dem Bestand der Gunter-Böhmer-Stiftung in Calw, den 174 illustrierten Büchern entnommen und mit Hilfe von Gerd Schroff alle gescannt und dazu die Buchtitel aufgenommen. Mit anderer Herstellungstechnik könnte dieses Buch vermutlich nicht erscheinen, denn kein normaler Verlag oder Druckerei hätte das auf sich genommen, weil es keine Chance gibt, davon tausend Stück zu verkaufen. Noch bei der Einzelherstellung ist der materielle und finanzielle Aufwand hoch, allein die Druckfarbe kostet pro Exemplar 25 bis 30 Euro, deshalb muss der Ladenpreis halt auch 120 Euro betragen. Drei Exemplare lassen sich am Tag herstellen, Fadenheftung hat sich bewährt, das mache ich selber und auch das Ableimen, die Umschläge kann ich ebenfalls selber schwarz-weiß in A3-Format drucken. Die ersten Exemplare als Broschuren habe ich auch selbst gebunden, aber den jetzigen Pappband macht mir der Buchbinder Manfred Ulmer.


Es ist doch wirklich ein besonderer Beruf …

Es hat sich für mich zwangsläufig so ergeben, und ich kann das Büchermachen auch nicht als Hobby betreiben, sondern muss davon leben. Also schau ich in der Auswahl der Autoren und Texte, ob eine gewisse Nachfrage herrscht. Natürlich muss ich selber von der Qualität überzeugt sein, aber die Reaktionen waren eigentlich immer positiv, und wenn ab und zu Rezensionen erschienen sind, haben sie immer was bewirkt.


Haben Sie Probleme mit der Bezeichnung Kleinverleger?

Aber nein, so kann ich mich als Clown fühlen, ich würde mich sogar Kleinstverleger nennen, obwohl die Produktion ja schon ordentlich ist. Aber ich habe immerhin noch jedes einzelne Blatt jedes Buches in der Hand. Sechs bis acht Titel im Jahr, das wäre bequem zu bewältigen, nur an der Werbung krankt es, da geht mir die Luft aus. Es ist bis heute ein Ein-Personen-Verlag geblieben, natürlich unter Mitarbeit meiner Frau und auch dem Freund Gerd Schroff als dem EDV-Betreuer für Computer und Internet, ganz wichtig.


Und dann haben Sie in diesem Jahr noch die Christian-Wagner-Ausgabe herausgegeben!

Das war ein halbes Jahr Arbeit und etwas heftig, das kann man sich so nebenher nicht oft leisten – auch wenn es immer wieder etwas Besonderes gibt, das man gerne machen würde, wie den hier in der Kiste liegenden Nachlass von Eugen Gottlob Winkler.

Die Fragen stellte Irene Ferchl.

***

Unter dem Titel ”War 20 mal 30 nicht immer schon 60?” wird am Samstag, den 4. Oktober um 17 Uhr im Christian Wagner-Haus, Warmbronn, der Verlag Ulrich Keicher gefeiert. Friedrich Pfäfflin stellt die Verlagsbibliographie vor, Thedel von Wallmoden, Verleger des Wallstein Verlags, Göttingen, betrachtet aus kollegialer Nachbarschaft. Anschließend gibt es einen Empfang in der Alten Mosterei gegenüber.

Die Ausstellung der Verlagsproduktion ist noch am Sonntag, 5. Oktober, von 11 bis 16 Uhr, in Anwesenheit des Verlegers, im Christian Wagner-Haus zu sehen.


Zum Weiterlesen:

Ich bleib Dir auf den Versen … Bibliographie des Verlags Ulrich Keicher, Warmbronn, 1983–2003. Hrsg. von Friedrich Pfäfflin in Zusammenarbeit mit der Christian Wagner-Gesellschaft Warmbronn. Verlag Ulrich Keicher, Warmbronn. 64 Seiten, 10 Euro

Gunter Böhmer. Bibliographie der illustrierten Bücher und Eigenveröffentlichungen. Bearbeitet und herausgegeben von Susann Rysavy. 334 Seiten mit 578 großenteils farbigen Abb., 120 Euro

Alle weiteren Informationen im Internet unter http://www.verlag-ulrich-keicher.de/ oder
Telefon 07152 / 72195 und Fax / 904839.


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