War Friedrich Schiller ein geschickter Selbstvermarkter?

Ein Interview mit den Kuratoren der Marbacher Jahresausstellung Frank Druffner und Martin Schalhorn

“Ich habe die Menschen gesehen, ihre Bienensorgen, und ihre Riesenprojekte – ihre Götterpläne und ihre Mäusegeschäfte, das wunderseltsame Wettrennen nach Glückseligkeit.” Die Bemerkung aus Schillers Räubern liefert Titel und Thema der diesjährigen Jahresausstellung im Schiller-Nationalmuseum, die sich auf die Suche nach dem historischen Menschen Schiller begibt. In acht Räumen begegnet er uns in den verschiedenen sozialen Zusammenhängen: als Hausvater und Spezialist für Freundschaften, als Pädagoge und Volksdichter, vor allem als Schriftsteller, der von seiner Profession leben wollte und sich also vermarkten musste. Frank Druffner, Kunsthistoriker, Historiker und seit einigen Jahren im Ausstellungsgeschäft tätig, und Martin Schalhorn, nach seinem Studium der Germanistik und Geschichte wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Schiller-Nationalausgabe, haben die Ausstellung und den Katalog erarbeitet.


“Götterpläne und Mäusegeschäfte” lautet der Titel der Ausstellung mit einem Schiller-Zitat. Was zeigen Sie?

Druffner: Exponate, die es bisher in dieser Zusammenstellung nicht zu sehen gab. Das kommt daher, dass wir mit Weimar kooperieren und dadurch die Möglichkeit haben, erstmals beide Teile des Schillerschen Nachlasses im großen Maßstab zusammenzuführen, das heißt den schriftlichen Teil aus dem Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar und den gegenständlichen Teil hier aus dem Deutschen Literaturarchiv. Das führt zu sehr spannenden Konstellationen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Schalhorn: Ganz konkret können wir Rechnungen aus Weimar mit Gegenständen aus unserem Museum wie etwa einen zerrissenen Strumpf zusammenführen und zum Thema von Schillers häuslicher Ökonomie präsentieren.

Druffner: Wir zeigen aus Weimar zum Beispiel wichtige Lebensdokumente wie den prunkvollen Adelsbrief.

Zählt der Adelsbrief zu den Götterplänen oder zu den Mäusegeschäften?

Druffner: Da kann man sich streiten, er ist sicher eine Form des aufgegangenen Götterplans, denn die Mäusegeschäfte haben sich am Ende schließlich doch gelohnt. Wie Schiller dabei rechnet, das zeigen seine großen Finanzentwürfe, die man so noch nicht gesehen hat. Einerseits berechnet er seine Einkünfte bis zu seinem 50. Lebensjahr, bis 1809 kalkuliert er die Einnahmen von Theatern und Verlagen. Andererseits führt er eine Art Ideenkonto, in dem er Entwürfe für Stücke auflistet und das Vollendete dann ausstreicht.

Sind Dinge ausgestellt, die noch nie gezeigt wurden?

Schalhorn: Schillers Lehnsbrief zum Beispiel, eine große, mittelalterlich anmutende Pergamenturkunde, oder ein Schulheft aus dem Jahr 1773, das “Geographische Büchlein des Eleven Schiller”, eine Mitschrift nach dem Diktat seines Lehrers Jahn auf der Militärakademie. Es ist ein interessantes Zeugnis, das nicht nur die Wissensinhalte dokumentiert, die die württembergische Eliteschule vermittelte, sondern auch über die damaligen Unterrichtsmethoden etwas verrät.

Sind solche Quellen zufällig überliefert oder hat jemand früh geahnt, dass da ein deutscher Dichter heranwächst, dessen Hefte zu bewahren lohnen?

Schalhorn: Bei diesen frühen Zeugnissen kommt der Zufall der Überlieferung zur Hilfe. Schiller selbst hat sich nicht für archivwürdig gehalten (wie Goethe das seit den 1790er Jahren zunehmend tat), er hatte ein durch und durch pragmatisches Verhältnis zu Manuskripten. Sobald sie gedruckt waren, wurden sie überflüssig und entweder vernichtet oder für Notizen verwendet. Ein planmäßiges Sammeln setzt dann bei den Zeitgenossen um 1800 ein. Goethe ist einer der ersten, der das Autografensammeln in großem Stil betreibt und auch Autografen Schillers aufhebt.

Druffner: Der zu Lebzeiten Schillers beginnende Dichterkult schlug sich in der Aufwertung und quasi reliquienhaften Verehrung handschriftlicher Zeugnisse nieder: Man begann, Handschriften zu sammeln. Es gibt etwa einen Brief von drei Damen, die Schiller wenigstens um ein paar Zeilen bitten. Nach seinem Tod hat man relativ schnell begonnen, solche Autografen an Freunde und Bekannte zu verteilen, an Leute, die Schiller während seiner Krankheiten gepflegt haben. Und bald kam es dazu, dass man die wenigen erhaltenen Manuskripte auch zerschnippelt hat: da wird dann eine Zeile mit dem Kommentar “Schillers Handschrift” zu einer Reliquie.

Schalhorn: Ein wenig anders liegen die Dinge bei den Briefen, die Schiller erhalten hat: hier begegnet er bereits früh als Sammler. Dies gilt zumal für die großen Briefwechsel mit Körner, Goethe oder Humboldt. Aufgehoben hat er auch die Abschriften seiner Briefe an Cotta, die zahlreiche verlagstechnischen Angaben und Vereinbarungen enthielten und daher eine juristische Dimension besitzen. Doch nicht alle Briefe hat Schiller sorgfältig aufgehoben. So liegt zum Beispiel der Briefwechsel mit den Eltern, aber auch mit dem Verleger Göschen über weite Strecken nur sehr unvollständig vor. Auch Verehrerbriefe oder beiläufige Nachrichten hat er nur in einzelnen Fällen aufgehoben. Mancher kleine Zettel hat sich rein zufällig erhalten, zum Beispiel als Lesezeichen in einem Buch.

Aber die Quellenlage für Sie als Ausstellungsmacher war gut?

Druffner: Ja, zumal der Fundus, aus dem die Ausstellung schöpft, relativ breit ist. Er reicht von Kunstwerken, Gemälden, Skulpturen über Grafiken, Scherenschnitte, Textilkunst, Haushaltsgegenstände, Briefe, Aufschriebe, Notizen, Ideenskizzen bis hin zu Rechnungen und Taschenkalendern.

Schalhorn: Die Fülle des Überlieferten hat uns im Rahmen der Vorbereitungen immer wieder beschäftigt, denn sie verlangt eine Auswahl nach bestimmten Prinzipien. So haben wir uns darauf geeinigt, bei der Präsentation von Briefen nicht nach inhaltlichen, sondern ästhetisch-funktionalen Kriterien vorzugehen: Es hat keinen Sinn, einen zentralen, aber mehrere Seiten langen Brief auszustellen.
Stattdessen haben wir einem kurzen, möglicherweise unbedeutenderen Brief den Vorrang gegeben, an dem sich dafür alle Eigenschaften eines Briefes wie Anrede, Gruß etc. ablesen lassen. Dazu gehört auch, dass man sich den Erhaltungszustand ansieht, denn viele Stücke haben bereits lange Zeit in Schausammlungen gelegen und sind inzwischen so stark lichtgeschädigt, dass man sie nicht mehr guten Gewissens ausstellen kann. Ein weiteres Prinzip ließ sich aus der Intention der Ausstellung ableiten. Sie versucht, sich der historischen Person Schillers zu nähern. Nicht in einem biografischen Durchgang von der Geburt bis zum Tod, sondern in einer thematischen Annäherung, indem sie sich bestimmte Bereiche herausgreift.

Welche Bereiche sind das?

Schalhorn: Den Aufhänger bildet der Tod als Ereignis auch für das Schillerjahr 2005. Wir beginnen mit der Sektion und der Totenmaske, dem letzten Gesicht Schillers. Im folgenden Raum geben wir anhand der Lebenszeugnisse, vom Taufbuch bis zum Adelsbrief, einen Überblick über die Lebensstationen Schillers für die Besucher, die mit der Biografie nicht vertraut sind.

Druffner: Und das sieht aus, als führe ein kontinuierlicher Weg von einer Ehrung zur nächsten, aber es gab natürlich Brüche und Einbrüche in Schillers Vita. Die Ehrungen haben zum Beispiel keinerlei materiellen Nutzen, aber sie sorgen dafür, dass sich Schillers Stand in der Welt erhöht. Er wird Rat, dann Hofrat und schließlich Adliger, ist Mitglied gelehrter Gesellschaften; all das fördert sein Prestige und verbessert gewissermaßen auch seine Absatzmöglichkeiten als Schriftsteller.

Da müssen Sie sicher viel erklären, denn die Urkunden wirken doch leicht wie Dokumente einer stringenten Karriere – die problematischen Seiten sind normalerweise nicht ausstellbar …

Druffner: Man braucht dazu in der Ausstellung einen Hilfstext und es gibt natürlich einiges zu lesen, aber wir haben versucht, ihn zu verknappen und in einem annehmbaren Maß zu halten.

Schalhorn: Es ist sozusagen der Raum der aufgehenden Götterpläne. Wir haben mit der Taufurkunde ein Dokument, das alles vorwegnimmt: Schiller hatte neun Taufpaten, damit fällt er aus dem Rahmen dessen, was in Marbach Usus war. Der Vater betrachtet sich als Honoratior und meldet einen Anspruch an, dessen Einlösung aufgerollt wird. Dies wird sichtbar in den Dokumenten und in den Bildzeugnissen, zum Beispiel steht hier Danneckers Gewandbüste neben den Büsten der beiden Herzöge, die ihn fördern, Carl Eugen von Württemberg und Carl August von Weimar. Den Anspruch, den der Vater bei der Taufe anmeldet, löst der zum Dichterfürsten aufgestiegene Sohn tatsächlich ein.

Druffner: So kann der Vater, der einen Abguss der Dannecker-Büste erhält, diesen in seinem Häuschen auf der Solitude gar nicht aufstellen, weil er den Rahmen sprengt. Das zeigt, wie Schiller sich über die bescheidenen bürgerlichen Verhältnisse seiner Herkunft hinauskatapultiert.

Welche Rolle spielt Schillers Umgebung?

Druffner: Ein Raum behandelt das Thema »Schiller in Gesellschaft«, denn er schreibt ja nicht in einem Vakuum, sondern ist in ein Umfeld integriert. Wir betrachten die Karlsschule, das Entstehungsumfeld der frühesten Dichtungen; das Theater in Mannheim, wo er buchstäblich die Bühne betrat; die Universität in Jena, wo er in den Kreis der Gelehrten seiner Zeit eintrat und dann die Residenzstadt Weimar, wo er sich als freier Schriftsteller etablierte, in einem Kreis, der geprägt war von der Hofgesellschaft und gebildeten Dilettanten im Sinne von Liebhabern. An allen vier Orten zeigt sich, dass Schiller sich zwar in gesellschaftliche Zusammenhänge einfügt, es aber zugleich stets Abbrüche und Neuanfänge gibt. Irgendwann ist immer der Punkt erreicht, an dem Schiller sagt, jetzt komme ich nicht mehr klar, es zieht mich zu etwas Neuem. “Glücklich kann ich nirgends und nie sein”, sagt er einmal in einem Brief und das zeigt sich in seiner Biografie fortwährend. Er wechselt den Ort, die Profession und das gesellschaftliche Umfeld, hält nur wenige Kontakte aufrecht, diese aber oft über Jahre hin.

Schalhorn: Der Freundschaftsraum fokussiert die Freundschaften zu Körner, zu Goethe, zu den beiden Schwestern von Lengefeld. Schiller ist immer wieder als Spezialist für Freundschaften gefeiert worden und dem sind wir nachgegangen. Wie auch seinen wenigen Reisen, von denen man im engeren Sinne erst seit 1787 bzw. 1789, nach der Sesshaftwerdung in Weimar und Jena, sprechen kann. Schiller reiste nicht gern im realen Raum. Seine großen Reisen fanden als gedankliche Bewegungen in der Vorstellung, in seinen imaginierten Welten statt.

Druffner: Und wir zeigen den rechnenden Schiller: wie hoch sind seine Einkünfte? Wie geht er in der Zeit vor dem Urheberrecht mit Nachdrucken und Raubdrucken um? Zu sehen gibt es Quittungen und Rechnungen, das Kontobuch von Cotta, Unterlagen über die Hauskäufe – das Jenaer Gartenhaus, das Weimarer Wohnhaus. Was prägt Schillers Alltag als Hausvater mit vier Kindern und Dienstpersonal, wann zieht er sich zum Schreiben in die Mansarde zurück?

Schalhorn: Im zentralen Raum geht es um das Schreiben selbst: um die Geburt des Schriftstellers. Wie wird man Dichter, was heißt es, sich darauf festzulegen, wie findet man seinen Ort innerhalb des literarischen Feldes, was muss jemand beachten, wenn er vom Schreiben leben will? Die Räuber bilden einen Schwerpunkt, das Sich-hinein-Schreiben in die literarische Welt, das Bedienen eines Marktes. Schiller macht das sehr geschickt, er weiß, wie er reüssieren kann, indem er einen Skandal provoziert, indem er das Theater als Multiplikationsmedium nutzt und so innerhalb kürzester Zeit reichsweit Bekanntheit erlangt. Gleichzeitig bedient er sich der Verrätselung der eigenen Person: am Anfang sagt sein Name nichts, deshalb lässt er ihn weg. Mit dem Erfolg stellt sich die Frage nach dem Schriftsteller von selbst. An den Spekulationen darüber beteiligt sich Schiller ebenso wie an der Entstehung seines Bildes in Form eines Porträtstichs. Die Verankerung im literarischen Feld erfolgt durch Patrone und literarische Traditionen. Schiller hofft auf Wieland und setzt auf die Tradition, indem er sich Shakespeare verschreibt. Die fulminante Erfolgsgeschichte der Räuber kulminiert in der Verleihung des Französischen Bürgerrechts 1792.

Im folgenden gilt unser Interesse den großen Brüchen und konstituierenden Momenten in der Karriere des Schriftstellers. Vom Drama wendet Schiller sich der Geschichtsschreibung zu, da diese sehr viel lukrativer ist. Durch sie hofft er sein Ziel zu erreichen, vom eigenen Schreiben leben zu können. Er definiert sein Schreiben neu. Auch da setzt er auf das Spiel mit den Erwartungen der Leser, provoziert, indem er als Professor für Geschichte eine Darstellung des Dreißigjährigen Krieges in einem Kalender für Damen schreibt. Der Erfolg gibt ihm Recht, denn der Kalender wird in einer Auflage von 7000 Exemplaren gedruckt und verkauft.

Wenn wir Schiller hier als geschickten Selbstvermarkter sehen, dann widerspricht das doch sehr einem früheren Schillerbild?

Schalhorn: Das ist ein Anspruch der Ausstellung. Wir sind überzeugt, dass das ehemals sehr geschlossene Schillerbild eines Geisteswesens, das kraftgenialisch arbeitet und aus sich selbst die Dinge scheinbar hervorquellen lässt, ein Wunschbild ist – so stellte man sich den Angebeteten vor. Schiller ist ja einer der ersten Dichter, um den es einen Starkult gibt. Zu Lebzeiten beginnend, wird er nach seinem Tod vollends zum weltentrückten idealischen Kopf stilisiert. Im letzten Raum, der diesen Moment im Blick hat, wird deutlich, wie die Seiten seines Lebens, die unter dem Begriff der "Mäusegeschäfte" subsumiert werden können, im Augenblick des Todes ausgeblendet werden. Schiller wird von allem gelöst, was alltäglich und gewöhnlich ist. Damit einher geht die Umwertung seiner Hinterlassenschaften zu Reliquien: seine Haare, Handschriften und alle Gegenstände, die ihm geschenkt wurden oder die er angeschafft hat. Die Verklärung wird zur Verunklärung der historischen Person Schiller, die nun als Klassiker entrückt wird. Dieses Bild gerät erst durch den Verlust der quasi-religiösen Funktion des Schiller-Bildes nach 1945 ins Wanken. Erst heute, so scheint uns, ist es nötig und möglich, die Frage nach Schiller neu zu stellen.
Unser Ziel ist es nicht, ein altes durch ein neues Schillerbild zu ersetzen, sondern seine Person wie in einem Kaleidoskop in verschiedenen bunten Bildern zu zeigen und so die Lust zu wecken, neu auf diese Person und sein Werk zuzugehen.

Die Fragen stellte Irene Ferchl.

Die Ausstellung “Götterpläne und Mäusegeschäfte. Schiller 1759 – 1805” ist im Schiller-Nationalmuseum in Marbach am Neckar bis zum 9. Oktober täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr zu sehen. Dazu erscheint der Marbacher Katalog 58 / 2005, 300 Seiten mit zahlr. Abbildungen, 20 Euro.