Die Baroness und das Guggenheim – Hilla von Rebays Wiederentdeckung

Manchmal gehen Lebensträume in Erfüllung – wie der Roland von Rebays. Jahrelang kämpfte der heute über 80-jährige Architekt aus Wessling in Bayern um eine Anerkennung der Verdienste seiner 1967 verstorbenen Tante und nun hat er es geschafft: Baroness Hilla von Rebay, die Gründungsdirektorin des Guggenheim-Museums in New York, ist wieder in den Blickpunkt einer interessierten Öffentlichkeit gerückt. In den 1920er Jahren brachte die exzentrische Künstlerin, Mäzenin und Kunstsammlerin den schwerreichen, amerikanischen „Kupferkönig” Solomon R. Guggenheim dazu, sein Geld für abstrakte Kunst auszugeben und diese Sammlung später in einem von Frank Lloyd Wright gebauten Museum auszustellen.

Die Guggenheim-Familie und die amerikanische High Society empfanden das als Skandal. Wozu Kunst sammeln, auf der nichts Gegenständliches zu erkennen ist? Und was mischte sich diese Deutsche, diese Adlige, in das Leben des alternden Millionärs ein! „The B.” wird sie bis heute von der Familie genannt, das steht nicht für „die Baroness“, sondern für „das Biest”. Diese Frau muss eine unglaubliche, provozierende Ausstrahlung gehabt haben und bis heute weiß niemand genau, wie sich das Verhältnis zwischen ihr und dem amerikanischen Wirtschaftspotentaten Guggenheim gestaltete. War sie seine Geliebte oder nicht?

Auch Sigrid Faltin weiß auf diese Frage keine Antwort. Die Freiburger Filmemacherin und Autorin hat nicht nur ein ungewöhnliches Filmporträt über Hilla von Rebay und ihr Leben zwischen New York, Berlin und dem südbadischen Teningen geschaffen, sondern zudem eine Biografie verfasst, die jetzt im Libelle Verlag erschienen ist. Der Spiegel charakterisierte das über dreihundert Seiten umfassende Buch als „ziemlich überschwänglich und sehr unterhaltsam”. In der Tat besticht es durch die anschaulichen Schilderungen des Lebens einer Frau, „die ihrer Zeit voraus war”, so Faltin.

„Warum haben wir noch nie von Hilla von Rebay gehört?” fragt die Biografin. Weil sie zwar als Gründungsdirektorin das heute weltberühmte Solomon R. Guggenheim-Museum an der 5th Avenue gemeinsam mit dem amerikanischen Star-Architekten Frank Lloyd Wright geplant hatte, aber nach dem Tod ihres Gönners nicht mehr gelitten war: Die Familie setzte andere Direktoren ein und lud Hilla von Rebay 1956 nicht einmal mehr zur Eröffnung. Ihre Widersacher, zu denen beispielsweise Solomons Nichte Peggy Guggenheim gehörte, die mit dem Museum of Modern Art in Konkurrenz zu Rebays Sammlung stand, hatten gesiegt.

Dass Hilla von Rebay in Film, Buch, Ausstellungen und auf einer eigenen Internet-Seite wieder entdeckt wurde, ist auch einem Schulprojekt zu verdanken. Eine Gedenkstätte erinnert in Teningen zwar an die Künstlerin und auf dem dortigen Friedhof liegt sie begraben, aber erst zwei rührige Lehrerinnen machten es sich gemeinsam mit den Kindern zum Ziel, sie neben anderen einst bekannten Bürgerinnen und Bürgern ihres Heimatortes wieder aus der Schublade des Vergessens zu holen. Über diese Aktion stand im Jahr 2000 ein Artikel in der Badischen Zeitung und Sigrid Faltin war bei der Lektüre sofort klar, dass sie über diese Frau mehr wissen wollte.

Die promovierte Anglistin und Historikerin begleitete ihren Mann damals gerade in die USA und beschäftigte sich dann vier Jahre lang mit Hilla von Rebay. Das war nicht nur ein Zuckerschlecken: Sie las sich monatelang durch Archive, knüpfte Kontakte zum Museum, filmte Zeitzeugen und Mitglieder der Familie Guggenheim in den USA und in Deutschland, ärgerte sich über rechtliche Probleme bei der Bildverwertung und reiste auf den Spuren der Baroness. Ihr daraus entstandener Dokumentarfilm ist inzwischen preisgekrönt und wird weltweit vermarktet.

Als Hilla von Rebay 1927 nach New York geht, liegt schon ein bewegtes Leben hinter ihr. Geboren 1890 in Straßburg, hat sie sich als junge Frau gegen den Willen der konservativen Eltern für eine Laufbahn als Künstlerin entschieden. Da Mädchen nicht zu den Akademien zugelassen sind, studiert sie an privaten Schulen, malt recht erfolgreich und stellt ihre Bilder ab 1912 wiederholt aus, unter anderem in der Berliner Kunstgalerie „Der Sturm”. Kandinskys Buch Über das Geistige in der Kunst öffnet ihr früh die Augen für die gegenstandslose Malerei, und für diese „gemalte Musik” wird sie fortan leben.

In einer aufregenden Welt der Avantgarden zwischen München, Paris, Zürich und Berlin hat sie 1916 eine intensive Affäre mit Hans Arp („Sei ganz mein und vergiss mich nicht”, schreibt er ihr) und lernt den Maler Rudolf Bauer kennen. Für ihre Eltern ist der dandyhafte Berliner nur ein „Salon-Bolschewik”, aber sie lässt sich nicht beirren, unterstützt ihn finanziell, denn sie ist von seinem Talent überzeugt: „Du bist deiner Begabung mehr schuldig, als ich meiner.” Ganz Kind ihrer Zeit tritt sie für das – angebliche – Genie in die zweite Reihe zurück. „Das Drama der begabten Frau”, nennt es Sigrid Faltin und die Beziehung zu Rudolf Bauer ihren „Lebensirrtum“. Den meisten Menschen in Hilla von Rebays Umfeld ist bald klar, dass sie Bauer und seine Malerei maßlos überschätzt. Sie hält ihn für einen bedeutenderen Künstler als beispielsweise Wassily Kandinsky. Später wird sich Solomon Guggenheim wundern, warum immer nur er Bauers Bilder kauft und sonst kaum ein anderer Sammler Interesse an dem deutschen Künstler findet.

Hin- und hergerissen zwischen den Ansprüchen ihrer Familie, die sie sehr liebt, und denen von Rudolf Bauer geht sie 1925 für ein Jahr als Porträtmalerin nach Italien und entscheidet sich dort für einen Neubeginn in den USA, wo sie hofft, von ihren Depressionen geheilt zu werden. Obwohl sie in ihren Briefen Amerika als „das dreckigste, unorganisierteste Land, das ich je sah”, beschreibt, fühlt sie sich bald wieder „jung, gesund und stark”. Sie lebt im Dachgeschoss der Carnegie Hall, wo sich damals Appartements und Studios befanden; sie schmuggelt sich in Aufführungen und malt Hunderte von Künstlern, die dort auftreten. Eines Tages lässt sich Solomon R. Guggenheim von ihr porträtieren.

Mit einem ganz eigenen Stilmittel stellt Sigrid Faltin dieses einschneidende Ereignis in ihrem Film dar: Man sieht eine Schwarzweißfotografie, die während der Sitzung entstand. Plötzlich wippt Guggenheim ungeduldig mit dem Fuß. Animierte Bilder sind eine – freilich umstrittene – Spezialität dieser Filmemacherin; in ihrem Film über Hilla von Rebay gibt es einige dieser Animationen. Denn egal, wie schwer ein Thema ist, Sigrid Faltin schlägt immer einen leichten Ton an. Quasi mit einem Augenzwinkern beginnt also bei ihr die Beziehung zwischen Rebay und Guggenheim. Er ist gut dreißig Jahre älter als sie, seit Ewigkeiten verheiratet und interessiert sich für sein Handicap beim Golf und für junge Damen – nur nicht für Kunst. Hilla nutzt ihre Chance und bringt ihn dazu, Kunst zu kaufen, die damals kaum einer versteht. Im Nazi-Deutschland gelten die Werke bald als entartet, in den USA interessiert sich die reiche Oberschicht höchstens für impressionistische Malerei.

Guggenheim bewundert Hilla von Rebay, sie fordert ihn heraus. Er, der ein durch und durch konservatives Leben führt, lässt sich von ihr mitreißen. Sie ist charmant, spritzig, weltgewandt – und dominant! Sigrid Faltin meint: „Bald war er völlig abhängig von ihr.” Von da an sind die beiden ständig unterwegs, ab und zu begleitet von Guggenheims missmutig dreinblickender Ehefrau Irene. In ganz Europa kaufen sie gegenstandlose Kunst, immer wieder Bilder von Rudolf Bauer. Guggenheims Enkel Peter Lawson-Johnston drückt es so aus: „Sie setzte ihm den Floh ins Ohr, er könne weltberühmt werden, wenn er genügend Bauers kaufe.” Für sie ist er der Goethe der abstrakten Malerei, Kandinsky setzt sie mit Schiller nur auf Rang zwei. Die Kunstgeschichte hat – bislang zumindest – anders entschieden.

Hilla von Rebay war launenhaft und vergraulte oft genug selbst wohlmeinende Freunde, aber sie war auch ein warmherziger Mensch, der anderen Künstlern geholfen hat. Vor allem in der Zeit, als in Deutschland abstrakte Kunst verfemt wurde, hat sie Solomon R. Guggenheim veranlasst, diese Bilder zu kaufen. Viele Werke würde es heute ohne ihren Einsatz nicht mehr geben. Ihr Künstlerfreund Wassily Kandinsky zum Beispiel hatte ihr viel zu verdanken. Klee und Mondrian verkauften an Guggenheim, vielen Bekannten ließ sie Geld zukommen, einigen machte sie die Emigration in die USA möglich.

Rudolf Bauer hilft Hilla von Rebay seinerseits beim Ankauf von Kunstwerken. Sie revanchiert sich, indem sie ihn finanziell unterstützt, natürlich mit „Guggis” Hilfe. Denn längst lebt Bauer auf großem Fuß und sonnt sich im Glanze seines Künstlerlebens. „Er ging den bequemen Weg”, sagt Sigrid Faltin. Aber auch er zahlt einen Preis, denn er ist sein Leben lang von Hilla von Rebay abhängig. Lange sträubt sich Bauer, in die USA zu ziehen, er scheint sich – obwohl auch er abstrakt malt – bei den Nazis nicht unwohl zu fühlen. Endlich kommt er nach New York, stellt Ansprüche, fordert von Guggenheim spezielle Ausstattungen für seine Luxuslimousinen und heiratet sehr zum Verdruss von Hilla schließlich sein Hausmädchen Luise Huber. Obwohl er sie immer betrogen und zuletzt noch gegen sie intrigiert hat, hält Hilla von Rebay bis zu seinem Tod 1955 unverbrüchlich an dem „Genie” Rudolf Bauer fest.

Hilla von Rebay zieht sich nach ihrem Sturz als Direktorin gekränkt – aber finanziell von Guggenheim auch nach seinem Tod 1949 gut abgesichert – zurück. In ihren letzten Lebensjahren kränkelt sie oft, reist immer wieder zur Erholung in ihr „Wiesenhaus” ins bayerische Wessling. Dort wohnt ihr Bruder, der Vater ihres geliebten Neffen Roland von Rebay. Teningen, die Heimat ihrer Eltern, meidet sie, sie hat Ärger mit dem Sägewerk nebenan. Kurz vor ihrem Tod tröstet sich die Baroness damit, dass ihre Arbeit einmal geschätzt wird, wenn ihre Feinde und Neider nicht mehr da sind. „Ich möchte bis 2004 leben”, sagt sie damals. „Als ahnte sie, dass erst dann die Zeit reif sein werde, ihre Lebensleistung gerechter zu bewerten”, schreibt Sigrid Faltin.

Viele Lebensträume sind hier erfüllt worden. Als Faltin in den USA begann, Hilla von Rebays Leben wieder auszugraben, war das Guggenheim-Museum bereits dabei, eine Ausstellung über sie vorzubereiten. „Die Zeit war reif für eine Wiederentdeckung”, sagt ihre Biografin. Und es weht ein Hauch der Versöhnung durch die Geschichte, wenn man weiß, dass die Kuratorin der Rebay-Ausstellung die Enkelin ihrer einstigen Konkurrentin Peggy Guggenheim ist.


Zum Weiterlesen:
Sigrid Faltin, Die Baroness und das Guggenheim. Hilla von Rebay – eine deutsche Künstlerin in New York. Libelle Verlag, Lengwil 2005. 310 Seiten mit zahlreichen Abbildungen. 23,80 Euro
www.libelle.ch/pages/faltin.html

Der Film:
„Die Baroness und das Guggenheim. Die Geschichte der Hilla von Rebay”. Ein Film von Sigrid Faltin, Produktion White Pepper Film, Freiburg
www.die-baroness.com

Hilla-von-Rebay-Ausstellungen 2005:
Bis 7. August im Guggenheim-Museum New York
8. September 2005 bis 7. Januar 2006 in der Villa Stuck, München und anschließend im Schlossmuseum Murnau



Von:
Heidrun Wulf-Frick wurde 1960 in Stuttgart geboren. Dort arbeitete sie elf Jahre als Redakteurin bei Tages- und Fachzeitungen. Seit neun Jahren lebt sie mit ihrem Mann und den zwei Töchtern als freie Journalistin in Freiburg im Breisgau.