”Der viele Rasen ist zum Rasendwerden” (Karl Foerster) - Neue Ernte: Gartenbücher zur Frühjahrssaison

Von Elke Linda Buchholz

Kaum strecken die ersten Frühlingsblumen ihre Köpfe in die Sonne, juckt es jeden Gartenbesitzer in den Händen, und sei der Garten noch so klein. Der Kinderfernsehsender KIKA hat den Nachwuchs schon seit Wochen mit der Zeichentrickserie „Golo, der Gartenzwerg“ auf die Gartensaison eingestimmt. Und pünktlich wie jedes Jahr sprießen die neuen Gartenbücher wie Krokusse aus dem Humus der Verlagslandschaft. Sie machen Lust auf eigene Aktivitäten mit Pflanzschaufel und Rosenschere und sie vertreiben die Langeweile an den unvermeidlichen Regentagen, die unser Klima mit sich bringt. Lassen wir die praktischen Gartenratgeber beiseite und betrachten wir das Gärtnern als das, was es ist: als schöne Kunst.

Im Nebel märchenhafter Vorzeit versunken sind die Hängenden Gärten der Semiramis, die Papyrus- und Lotuspflanzungen des alten Ägypten, die mythischen Gärten der Griechen, von denen die Odyssee berichtet: ”Voll balsamischer Birnen, Granatäpfel und grüner Oliven / Oder voll süßer Feigen und rötlich gesprenkelter Äpfel”. Die frühe Geschichte der Gartenkunst ist vor allem in der Literatur aufbewahrt. Bis heute weiß man nicht sicher, ob es die Hängenden Gärten als eines der sieben Weltwunder überhaupt gegeben hat. Ihr rätselhafter Name im Deutschen beruht schlicht auf einem Übersetzungsfehler: ”Pensilia” waren Terrassengärten.

Auch die Kräuterbeete mittelalterlicher Klostergärten sind lange eingeebnet. Nur Buchmalereien und alte Handschriften erzählen von der Pflanzenliebe und Blumenkunde der Mönche – und rekonstruierte Anlagen wie in den Klöstern Reichenau, Lorsch und Schaffhausen. Der Idealgrundriss der abendländischen Klosterbaukunst, der St. Gallener Klosterplan, zeigt gleich vier Gartenanlagen: wohlgeordnete Apotheken- und Gemüsepflanzungen sowie einen baumbestandenen Friedhof und natürlich einen Kreuzgang, das architektonische Grundelement jedes Klosters. In ihm lebte die Erinnerung an die schattigen Peristylgärten römischer Privathäuser und die brunnenverzierten Hofgärten orientalischer Paläste fort. In dem Buch Vom Glück des Gartens versenkt sich Marie-Thérèse Haudebourg in die Geistesgeschichte der mittelalterlichen Gartenkultur. Der aus dem Franzöischen übersetzte Texte wurde vom Thorbecke-Verlag wunderschön mit Gemälden, Miniaturen und Fotos illustriert, ärgerlicherweise ohne brauchbare Bildlegenden, was den Wert des hübschen Bandes erheblich schmälert.

Der Mönch Walahfried Strabo aus dem Kloster Reichenau wusste schon um 840 in seinem lateinischen Hortulus, dem ältesten Gartengedicht des Mittelalters, ein Lied davon zu singen, dass auch der gottgefälligste Garten nicht von selbst gedeiht: ”Wenn deine Pflege nur nicht ermattet in lähmender Trägheit, [...] und nur sich nicht scheut, die schwieligen Hände bräunen zu lassen in Wetter und Wind und nimmer versäumet, Mist zu verteilen aus vollen Körben im trocknen Erdreich.”

Im mittelalterlichen Roman de la Rose oder in Boccaccios Decamerone finden die Liebenden in idyllischen Gärten zueinander. Der Liebesgarten war wie der strenge Klostergarten von Mauern umschlossen: ein Hortus conclusus jenseits des Alltags, jenseits der als gefährlich empfundenen Welt. Immer verkörperte der Garten ein Stück Paradies inmitten einer widrigen Umwelt. So entwickelte sich die Gartenkunst keineswegs im Einklang mit der Natur, im Gegenteil: Sie war ein unablässiger Kampf gegen deren chaotische Kräfte. Wer des Unkrauts im eigenen Garten Herr zu werden sucht, spürt das.

Gartenschönheit – das war jahrhundertelang gleichbedeutend mit Ordnung, mit geometrischer Klarheit und Proportion. Das Chaos wildwuchernder Biotope gab es außerhalb der Gartenmauern zur Genüge. Man darf nicht vergessen: noch im Mittelalter bedeckten zusammenhängende Wälder weite Teile Europas. Im Orient dagegen musste die hohe Kultur der Gärten der Wüstenhitze und Trockenheit abgerungen werden. Kein Wunder, dass zur Gartenkunst von Anfang an die Wasserkunst gehörte. In den schattigen Höfen der Alhambra rinnt das kühle Nass durch schlanke Kanäle, in der antiken Villa Hadriana bei Rom staut es sich zu imposanten Becken. Die geometrischen Parkanlagen der Renaissance inszenieren es theatralisch in Springbrunnen, Wasserorgeln und Grottenanlagen. Sogar in den pflanzenlosen Steingärten der japanischen Zenklöster ist das Wasser präsent: in Form von geharkten Wellen im Kies.

Die Wandlungen uralter Gartenmotive über die Jahrhunderte hinweg macht der Architekt und Gartenhistoriker Günter Mader in seiner Geschichte der Gartenkunst nachvollziehbar. Von den Anfänge der Gartenkunst im alten Ägypten bis zu dem 1995 angelegten abstrakten Erdzeichen am Münchener Großflughafen. Das Handbuch aus der renommierten Reihe „Fachbibliothek Grün“ im Verlag Eugen Ulmer ist eine Wohltat im Dschungel der wohlfeilen Coffeetablebooks zum Thema Garten.

Wer sich die Gartengeschichte lieber häppchenweise erschmökern möchte, ist mit Gerstenbergs Gärten & Parks aus der Reihe „50 Klassiker“ gut bedient. Die Journalistin Ira Diana Mazzoni ist keine Fachfrau, hat das Thema aber lebendig und faktenreich aufbereitet. Umso ärgerlicher ist die personenlastige Bildauswahl. Wen interessieren die Porträts von Fürsten und Auftraggebern, wenn man dafür die Pläne der Gärten und Parks vermisst? Tipps zum Weiterlesen und -reisen eröffnen neue Pfade im unendlichen Gefilde der Gartengeschichte.

Am liebsten würde man sofort aufbrechen, zum Beispiel nach Sissinghurst in der englischen Grafschaft Kent. Dort legte die Schriftstellerin Vita Sackville-West – die ihre Freundin Virginia Woolf zu dem Roman Orlando inspirierte – in den 1930er Jahren einen ländlichen Garten an, der die heute eine Pilgerstätte für Gartenliebhaber ist. Auch der von Blütenstauden und Gräsern überquellende Hausgarten von Karl Foerster, dem einflussreichsten deutschen Gartengestalter des 20. Jahrhunderts, ist als Gartendenkmal in Bornim bei Potsdam öffentlich zugänglich. Seine Tochter Marianne pflegt den Garten, ihr Buch über die Anlage wurde gerade als „Gartenbuch des Jahres 2006“ ausgezeichnet. Foerster selbst publizierte seine Ideen und Erfahrungen in Büchern mit so schönen Titeln wie: Ferien vom Ach oder Es wird durchgeblüht. Seinen Staudenzüchtungen gab er unvergessliche Namen: Wennschondennschon oder Nachbars Neid.

Einen Garten der Erinnerungen bilden die Blumenstücke der französischen Autorin Colette. Als die berühmte Schriftstellerin nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Paris durch eine Arthritis ans Haus gefesselt war, sandte ihr Verleger ihr regelmäßig einen Strauß Blumen. Sie revanchierte sich mit den literarischen Blumenporträts Pour un herbier – Für ein Herbarium.: melancholisch, respektlos, zart, eigensinnig. Die damals bereits über 70-Jährige schaut den Blüten tief ins Gesicht, saugt den betäubenden Duft der ersten Hyazinthen ein, lässt Erinnerungen aufsteigen an die Lilien ihrer Kindheit, an das Blau der Provence, an die Kriegsjahre, als eine Rose zur unbezahlbaren Kostbarkeit wurde: ”O Rose, die ich im Geheimen Sündigen Purpur nenne, Aprikosene, Schneezauber, Fee oder Dunkle Schöne. Und ohne zu erröten trägst du auch den Glanz eines so heidnischen Namens wie: Zitternder Schenkel der Nymphe!” Das schmale Büchlein wiegt manchen Bildband an Fülle, Duft und Farben auf. Schließlich wusste schon Hugo von Hofmannsthal: ”Es ist ganz gleich, ob ein Garten klein oder groß ist. Was die Möglichkeiten seiner Schönheit betrifft, so ist seine Ausdehnung so gleichgültig, wie es gleichgültig ist, ob ein Bild groß oder klein, ob ein Gedicht zehn oder hundert Zeilen lang ist.”

Am handlichen Format liegt es also nicht, dass das Reclam-Bändchen Meisterwerke der Gartenkunst so wenig erfreulich ausgefallen ist. Die ausgewiesene Gartenhistorikerin Gabriele Uerscheln hat ihr grünendes, blühendes Thema leider auf eine nutz- und reizlose Sammlung nackter Fakten und Daten zusammengestutzt. Als Nachschlagewerk leistet Uerschelns vor fünf Jahren ebenfalls bei Reclam erschienenes Lexikon der Gartenkunst bessere Dienste. Der üppige Bildband Neue Gärten in alter Tradition von Knesebeck fällt ins andere Extrem. Hier spielen prächtige Farbfotografien des renommierten Gartenfotografen Jerry Harpur die Hauptrolle. Dafür sparte der Verlag den Autor gleich ganz ein, der Fotograf griff selbst zur Feder. Viele Gartenarchitekten kennt er persönlich, ihre Parks hat er beim Fotografieren im Laufe von zwanzig Jahren selbst wachsen sehen. Doch fehlt dem Buch bei aller Begeisterung für die grüne Kunst die ordnende Hand, das gärtnerische Geschick, um aus einem bunten Potpourri eindrucksvoller Impressionen ein wohlgeordnetes Ganzes zu machen. Im Zickzackkurs geht es durch Länder und Zeiten, Detailinformationen rauschen vorbei. Da hilft auch ein Vorwort von Englands Gartenpäpstin Penelope Hobhouse nichts.

Keine Frage: Gärtnern ist eine Kunst. Aber es ist eben auch eine Kunst, ein gutes Buch über die Gartenkunst zu machen. Der Fotograf Peter Kühn ist nicht rund um den Globus gereist. Direkt vor seiner Haustür fand er ein Stück Paradies, das es lohnte, wieder und wieder erkundet zu werden: das Dessau-Wörlitzer Gartenreich. Englische Landschaftsgärten und die Utopien der Aufklärung inspirierten den fürstlichen Landesherrn von Anhalt-Dessau Ende des 18. Jahrhunderts zur Umgestaltung seines Ländchens. Schönes und Nützliches, Park und Landwirtschaft, Natur und Architektur verbinden sich hier zu einem einzigartigen Ganzen. Kühns exquisite Aufnahmen zeigen es so, wie es in Wirklichkeit kaum je zu erleben ist: ohne störende Menschen, im nebligen Schimmer eines Herbstmorgens, in tausend goldenen Farbnuancen. Man müsste einmal wieder nach Wörlitz fahren.

Zum Weiterlesen:

Marie Thérèse Haudebourg, Vom Glück des Gartens. Gartenparadiese im Mittelalter. Thorbecke, Ostfildern 2004. 168 Seiten mit 100 farbigen Abb., 24,90 Euro

Günter Mader, Geschichte der Gartenkunst. Eugen Ulmer, Stuttgart 2006. 240 Seiten mit zahlr. Farbabb., 39,90 Euro

Ira Diana Mazzoni, Gärten und Parks. Gerstenberg, Hildesheim 2005. 280 Seiten mit zahlr. Farbabb., 19,95 Euro

Vita Sackville-West, Mein Frühlingsgarten. Piper, München 2006. 144 Seiten mit 10 Farbfotos, 7 Euro

Marianne Foerster, Der Garten meines Vaters Karl Foerster. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005. 144 Seiten mit 200 Abb., 29,90 Euro

Colettes literarischer Garten. Edition Ebersbach, Berlin 2004. 106 Seiten mit Abb., 14,00 Euro

Gabriele Uerscheln, Meisterwerke der Gartenkunst. Reclam, Stuttgart 2006. 320 Seiten mit 110 Schwarzweiß-Abb., 14,90 Euro

Jerry Harpur, Neue Gärten in alter Tradition. Knesebeck, München 2006. 265 Seiten mit zahlr. Farbabb., 34,95 Euro

Peter Kühn, Das Dessau-Wörlitzer Gartenreich. Hinstorff, Rostock 2006. 128 Seiten mit 107 Farbabb., 34,90 Euro


Elke Linda Buchholz, geboren 1966, lebt als freie Autorin und Kunsthistorikerin in Berlin. Sie schreibt u.a. für das Feuilleton der Stuttgarter Zeitung. Zuletzt erschien 2005 von ihr – zusammen mit Michael Bienert – der Band Die Zwanziger Jahre in Berlin. Ein Wegweiser durch die Stadt im Berlin Story Verlag.