Ausgabe: September/Oktober 2006  


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“Dreimal Heil dem neidenswerthen Lande”

Wie die Poeten den Aufstieg Württembergs zum Königreich mit Kostproben ihrer Kunstfertigkeit begleitet haben

Von Helmut Engisch

Der Lärm von einhundert Kanonenschüssen dröhnte den Bewohnern der württembergischen Hauptstadt am Neujahrstag 1806, morgens um neun Uhr, in den Ohren und eine Stunde später verkündete ein Herold, begleitet von Trompetenschall, den nun immerhin hellwachen Stuttgartern den Grund für solchen Festtagslärm: Ihr mindestens so machthungriger wie korpulenter Landesherr hatte geruht, die Königswürde anzunehmen.

Kurfürst Friedrich war zum Monarchen von Napoleons Gnaden avanciert. Damit hatte der älteste Sohn von Herzog Friedrich Eugen in acht überaus bewegten Jahren einen wahrhaft atemberaubenden Karriere-Dreisprung gemeistert. Im Dezember 1797 war er Herzog und Herr über das eher unscheinbare Württemberger Ländchen geworden. Im Frühjahr 1803 hatte er seinem Herrschaftsgebiet ansehnliche geistliche und reichsstädtische Territorien einverleiben dürfen und zur weiteren Stärkung seines ohnehin ausgeprägten Standesbewusstseins die Kurfürstenwürde gewonnen. Mit Beginn des Jahres 1806 aber war der Ehrgeizige am Ziel seiner kühnsten Träume. Er durfte seine ausladende Gestalt in den Königspurpur hüllen und bei einem kunstverständigen Stuttgarter Juwelier Krone und Zepter, die Insignien der Königswürde, in Auftrag geben.

Vor dem Hintergrund dieser Serie glanzvoller Ereignisse nahm die württembergische Festkultur in den Jahren vor und nach der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert einen bedeutenden Aufschwung und am Stuttgarter Hof durften die Zeremonienmeister feudaler Festivitäten ihren kostspieligen Phantasien freien Lauf lassen. Doch nicht nur die Kompetenz der Fest-Kanoniere und Feiertags-Trompeter war anhaltend gefragt, auch die Kunstfertigkeit der Hof-Poeten wurde auf das Heftigste strapaziert. Einer der Produktivsten unter ihnen, der “Hof- und Theaterdichter” Johann Friedrich Schlotterbeck, reimte sich in jenen Jahren den Rest seiner ohnehin nicht sehr kräftigen Poetenseele aus dem Leib. Bis dahin aber genügte der Pfarrerssohn aus dem Schwarzwaldstädtchen Altensteig seiner Pflichtschuldigkeit als Jubel-Poet. Schon den “feierlichen Einzug Ihrer Königlichen Hoheit, der regierenden Frau Herzogin zu Wirtemberg, Friederike Sophie Dorothee, des Russisch-Kaiserlichen Katharinen-Ordens Dame, von Lorch an bis in die Herzogliche Residenz Stuttgart am 13. Brachmond 1795” hatte der einstige Lehrer an den Unterklassen der Hohen Karlsschule mit ausladenden Prosa-Girlanden begleitet und der Mutter des künftigen Königs ganze Körbe seiner papierenen Poesie-Blümchen auf den Weg streuen lassen: in Form eines elfstrophigen Gedichts, das der Hauptmann des bürgerlichen Artilleriekorps der Landesmutter als Willkommensgruß seiner Knalleffekten zugeneigten Truppe überreichte:

Die strahlende Rakete steigt.
Und jetzt erscheinest Du.
Auf Stuttgarts Hügeln stehen wir
Und donnern aus Kanonen Dir
Den Gruß der Freude zu.

Nicht minder routiniert erledigte der rastlose Reimer ein gutes halbes Jahr später einen Auftrag der Offiziere des “freiwilligen Bürger-Corps zu Stuttgart”, die den Drang verspürten, Herzog Friedrich Eugen mit einer Geburtstags-Ode zu beglücken. Bereits in der zweiten Strophe seines Festgesangs erreichte der Dichter die schwindelerregenden Höhen hemmungsloser Lobhudelei:

Dreimal Heil dem neidenswerthen Lande,
Dem der Himmel einen Titus gönnt,
Den, gefesselt durch der Liebe Bande,
Kein Palast von seinem Volke trennt.

Herrlich reift durch ihn des Segens Blüthe,
Weil er rastlos Wohlfahrtsplane denkt,
Und mit Weisheit, wie mit Huld und Güte,
Seines Staates großes Ruder lenkt.

Ein anderer Meister der hymnischen Maßlosigkeit, der Philologe und Gymnasialrektor Friedrich David Gräter, ein Sohn der Reichsstadt Schwäbisch Hall, griff aus Anlass der Erhebung von Herzog Friedrich zum Kurfürsten in die Saiten seiner poetischen Leier und zeigte sich dabei in hochgradigem patriotischem Fiebertaumel.

Was für ein Jauchzen tönt an mein erstauntes Ohr?
Wem donnert dies Geschüz? Wem schallen diese Lieder?
rätselt der Sänger zum Auftakt seines Jubelsangs, doch folgt den Fragen die Antwort prompt auf kraftvoll einhertrampelnden Versfüßen:
Für Churfürst Friedrich ist’s! Für den Erhabenen!
O wie die Freude mich durchschüttert!
Wie schon die Hand mir an den Saiten zittert!
Und Liedergeister schon in meinem Kreise wehn!

Tatsächlich spukt es in Gräters historisch-ideologischer Rumpelkammer beträchtlich. “Der Vorzeit Barden” nämlich lässt er nach frage- und ausrufungszeichenprallem Auftakt flugs aus ihren Gräbern klettern, und die verwechseln den kurfürstlichen Friedrich der Gegenwart prompt mit dem sagenhaften Stauferkaiser Friedrich – was den Choreographen des poetischen Geisterreigens allerdings nicht im Geringsten irritiert, schließlich sieht auch der schwäbische Barde des Jahres 1803 in seinem Landesherrn so etwas wie den Wiedergänger des mythenumflatterten Barbarossa.

Etwas raffinierter, doch nicht minder hochgestimmt traktierte in jenen Jahren der aus der Magdeburger Gegend stammende Friedrich Matthisson seine poetische Drehleier und war stets zur Stelle, wenn es staatspolitische Sensationen zu bejauchzen galt. Auch er langte aus Anlass der “Kurwürdenfeier in Stuttgart” mächtig in die Saiten und verdiente sich durch weitere Lieferungen poetischer Bijouteriewaren den Adelstitel, die Würde eines Geheimen Legationsrats, eine Anstellung als Hofbibliothekar und die Mitgliedschaft in der “Hoftheater-Oberintendanz”. Solch exquisite Gnadenbeweise aus dem Füllhorn Friedrichs hatten natürlich ihren Preis und den zahlte Matthisson mit seinen hymnischen Gelegenheitsdichtungen brav ratenweise. Eine besonders habhafte Rückzahlungstranche aber leistete sich der Verlässliche im Jahr 1813 mit der Beschreibung jenes feudalen Schlachtfestes, bei dem am 9. November 1812 im idyllischen Goldersbachtal bei Bebenhausen eine königlich-württembergische Jagdgesellschaft in Gegenwart des allerhöchsten Nimrod an die neunhundert Wildtiere niedermetzelte. In gehobener Prosa würdigte Matthisson dieses so genannte “Dianenfest” und war sich nicht zu schade, das Blutbad nicht nur als ästhetisch überzeugende Inszenierung zu schildern, sondern auch als ideale “Vorschule für die Scenen der ernstern Kämpfe, wenn Herd und Vaterland in Gefahr schwebten”, zu rühmen.

Das Risiko, dem sich jeder literarische Kalendermacher ausgesetzt sieht, war vermutlich auch dem Ludwigsburger Verleger Friedrich Nast gewärtig, als er sein Württembergisches Taschenbuch auf das Jahr 1806 zusammenstellte. Als die “Freunde und Freundinnen des Vaterlandes”, auf die seine patriotische Textsammlung gemünzt war, das wohlfeile Werkchen in Händen hielten, erkannten sie augenblicklich, dass die Zeitereignisse der verlegerischen Planung vorausgeeilt waren. Das Frontispiz des Büchleins nämlich schmückte zwar ein unverkennbar zeitgemäßes Porträt des Landeshern, doch wies die Unterschrift den mittlerweile zum König Erhobenen noch als Kürfürsten aus. Der in Fragen der Etikette höchst empfindliche Monarch dürfte sich an diesem verzeihlichen Fauxpas allerdings kaum gestört haben – immerhin waren die Taschenbuch-Kostproben der literarischen Schaffensfreude sehr wohl dazu angetan, die Identifikation sowohl der Alt- wie der Neuwürttemberger mit dem neuen Staat, diesem aus Klein- und Kleinstherrschaften zusammengestückelten Königreich, zu stimulieren. Wenn auch das Lob auf den Landesherrn da nicht gar so überschäumend gesungen wurde wie von den notorisch jubilierenden Hofsängern. Beim Loblied auf die Anmut des “Schwabenmägdleins” – “So blühend, wie das Morgenrot, so wundernett gebaut” –, das der wohlsituierte Stuttgarter Stadtrat Friedrich Ritter zum Sammelwerk beigesteuert hatte, durfte es auch dem weniger obrigkeitsergebenen Bürgersmann recht warm ums Herz werden. Und der immerhin 20-strophige “Rundgesang für Württemberger” von Friedrich Haug war durchaus geeignet, bei heimatseligen Biedermännern nicht nur am Wirtstisch die Sangesfreude wachzukitzeln, da dieses Poem auch als Katalog landestypischer Primär- und Sekundärtugenden verstanden werden konnte. Es rühmte den typischen Bewohner des württembergischen Paradieses als ehrlich und treu, die Württembergerin als heiter, geistvoll und mutig.

Dieser “Rundgesang” beschwor jene württembergischen Geschichtsmythen, die bald als tauglich erachtet wurden für eigenständige Dichterwerke. Die Sage von den treuen Weinsberger Weibern verarbeitete Adelbert von Chamisso zu einem vaterländischen Sang, die Tapferkeit des Konrad Widerhold vom Hohentwiel rühmte der musisch entflammte Pfarrer Rudolf Magenau ausführlich in einem seiner gelungeneren Gedichte, und Justinus Kerner glückte mit seiner Version vom Fürstenwettstreit im Wormser Kaisersaal eine patriotische Weise, die bis heute als heimliche Nationalhymne der Württemberger gilt. Was als Indiz dafür gewertet werden mag, dass es auch den modernen und durch und durch demokratischen Württembergern dann am wohlsten ist ums Herz, wenn sie sich mit einem treusorgenden Landesvater so innig einig wissen, dass sie ihm den eigenen Schoß zur sicheren Ruhestatt empfehlen dürfen.

Helmut Engisch, geboren 1950 in Oberndorf am Neckar, lebt als freier Journalist und Autor in Stuttgart. Im Frühsommer erschien von ihm im Stuttgarter Theiss Verlag der reich illustrierte Band Das Königreich Württemberg.


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