„Miau!“ - Einige Bemerkungen über die Katze als Nebenfigur im Film

Von Heinrich Steinfest

"Aber diese Beziehung kann einfach
nicht klappen. Du bist ne Katze,
ich bin schwarz. Und ich will nicht
noch einmal verletzt werden.”
(Will Smith in I, Robot)

Inmitten dauernder Aktivität und dauernder Aufgeregtheit schätzen wir die kurzen, stillen Momente. Wenn wir etwa in eine Schokolade beißen, die wie ein kleines, schwaches Herz auf unserer Zunge zergeht. Oder wenn wir eine Katze betrachten, die sich das Fell putzt. Bei der Schokolade freilich – von der Gefahr schlechter Zähne und dem Dickwerden einmal abgesehen – vermuten wir nichts Mysteriöses. Im Falle der Katze ist das anders. Wir fragen uns, was sie vorhat, worüber sie nachdenkt, während sie da sitzt und so tut, als sei sie nichts anderes als eine Katze, die sich das Fell putzt.

Wenn Tiere in Filmen agieren, ohne aber eine Hauptrolle einzunehmen, dann erklärt sich ihr Erscheinen in den meisten Fällen als symbolischer Akt. Sie sind also nicht bloß Haustiere, die durch die Szenerie marschieren, weil sie eben zu diesem Haushalt gehören wie der Eisschrank oder die Waschmaschine. Solche Tiere sind nicht zweckgebunden, sondern sinngebunden. Sie retten keine Welt, sie sind die Welt.

Hunde allerdings erweisen sich in dieser Hinsicht als eher ungeeignet. Ihr unvermutetes und von der Handlung unabhängiges Auftreten verwirrt eher, als dass es irgendeinen tieferen Sinn erzeugt. Hunde sind nun mal dazu verdammt, als Partner inferiorer Menschen zu fungieren, sabbernd, schnüffelnd, bellend zu erledigen, woran ihre Menschen scheitern. Sie stehen im Dienste der Familie, des Staates oder der Gerechtigkeit. Also: Sie retten die Welt. Und das geht eigentlich nur mit einer Hauptrolle. (Es wäre allerdings mal etwas Neues, wenn jemand die Welt rettet, der gerade so vorbeikommt, gegen Ende des Films, und halt tut, was verdammt noch mal getan werden muss, ohne uns deshalb neunzig Minuten lang auf die Nerven gegangen zu sein.)

Die Katze verweigert sich der weltbewegenden Aktion beziehungsweise Mission, was zunächst ganz praktische, drehtechnische Gründe hat. Katzen – nicht die großen, gutmütigen, sondern die kleinen, widerspenstigen – lassen sich schwer dressieren. Während zumindest Zirkuslöwen relativ gesittet auf Podesten zu hocken verstehen, kann man die sogenannten Stubentiger kaum dazu bringen, etwas zu tun oder zu unterlassen. Zum Beispiel platzieren sie sich mit Vorliebe auf frisch gewaschener Wäsche, nicht aber, wenn sie merken, dass man sie ihnen absichtlich hingelegt hat. Es ist ein Reflex der Katze, das Gegenteil des Erwarteten zu tun, oder aber das Erwartete dann, wenn man nicht damit rechnet. Diese Eigenwilligkeit ist ein Ärgernis, welches wir gelernt haben, als Charakterzug zu bewerten, während wir einem Menschen Derartiges als Bösartigkeit anlasten würden.

Katzen – im Leben wie im Film – sind plötzlich da und plötzlich weg. Sie kennen keinen "richtigen” Moment wie jene die Welt rettenden Hunde. Katzen sind ein Symbol für das Unkalkulierbare, für die Natur schlechthin, nicht zuletzt für Katastrophen, die deshalb eintreten, weil niemand sie verhindern kann. Weil eben auch Katastrophen immer dann auf die frisch gewaschene Wäsche springen, wenn gerade niemand hinsieht. Katzen verursachen Situationen vergleichbar jenen Butterbroten, die mit der Butterseite aufzuklatschen pflegen, obwohl man selbst das nicht mit Sicherheit voraussagen kann. Wenn man Katzen in einen Katzenkorb stecken möchte, laufen sie immer davon. Stellt man jedoch den Katzenkorb nachlässig in eine Ecke, dann ...

Das vielleicht schönste Beispiel einer solchen Katze im Film – einer Nebenrolle als Hauptrolle – verkörpert der Kater Jones in Ridley Scotts Sciencefiction-Meisterwerk "Alien”. Jones ist ein semmelgelber, sehr realistisch gezeichneter Vertreter seiner Art: irgendwie ganz lieb, aber auch ziemlich kratzig. Er wird ständig als "alter Junge” tituliert, obwohl er als einziger auf Draht ist und sich nicht ständig dem Alien auf dem Servierteller präsentiert. Wobei Jones ironischerweise genau wie das barbarisch-perfekte Alien sich in erster Linie dadurch auszeichnet, meistens nicht gesehen zu werden.

Es ist so sentimental wie wirklichkeitsnah, dass im Moment allergrößter Gefahr auf einem nicht gerade kleinen Raumschiff nach dem Kater Jones gesucht wird. Man kennt das aus eigener Erfahrung: Man möchte ins Wochenende fahren. Wer fehlt? Wer ist einfach nicht aufzutreiben?

Das mag als ein witziger Gedanke erscheinen. Aber er ist nur halbwitzig. Denn wenn gerade ein mörderisches Alien durch die Gänge rast und der Selbstzerstörungsmechanismus des Raumschiffs in Gang gesetzt wurde, ist die Suche nach einer Katze der wahre Alptraum. Im wirklichen Leben sind es zumeist brennende Einfamilienhäuser, durch welche die Katzenbesitzer verzweifelt laufen und nach ihren Katzentieren rufen. Folgerichtig kostet diese Suche auch im "Alien"-Film einen der Männer das Leben.

Dass schlussendlich – zusammen mit der Hauptheldin, dem dritten Offizier Ellen Ripley – nur der Kater Jones das Inferno überlebt, zeigt uns die privilegierte Stellung von Katzen, also von Wesen, die Ärger und Schwierigkeiten bereiten und dafür vom Schicksal noch belohnt werden. Katzen fungieren als von Gott höchstpersönlich gesandte Querulanten. Und nichts fasziniert uns an Gott so sehr wie seine Undurchsichtigkeit und die Undurchsichtigkeit seiner Entscheidungen.

Darum lieben wir Katzen: Weil wir sie nicht verstehen. Ihr Verweilen unter den Menschen ist bis heute rätselhaft, ihre Domestikation nie wirklich erfolgt. Ihre Position scheint selbstbestimmt. Das Faktum, Mäuse zu verscheuchen, stellt ja ein bloßes Abfallprodukt der Mensch-Katze-Beziehung dar. In Wirklichkeit bleibt die Katze tatenlos, sie tut weniger als herumstehender Nippes, der wenigstens Staub fängt. Nein, wir alle wissen, dass es viel eher darum geht, dass die Katze vom Menschen gefüttert wird, und zwar mit Produkten, die damit werben, alles zu enthalten, was auch eine frisch gefangene Maus zu bieten hätte. Der Mensch erfüllt also das Image des leibhaftigen Dosenöffners. Ein Bild, das vor allem im TV-Krimi gerne zur Anwendung kommt. Die Katze miaut, schnurrt, streicht um die Füße, während der Polizist oder die Polizistin – in der Küche stehend, eine Dose öffnend – endlich zur Ruhe kommt. Kurz nur, ganz kurz, zwischen zwei Morden, zwischen hektischen Ermittlungen und persönlichen Verfehlungen. Die auftauchende Katze klagt einen Moment des Friedens ein. Ein perfektes Rendezvous. Der Kriminalist darf Mensch sein, Katzenmensch. Für den Plot bleibt das ohne jede Bedeutung. Wie schön!

Der zwecklose, aber nicht sinnlose Auftritt der Katze ist ein Hinweis auf das Wirken des Metaphysischen in der Welt. Wenn etwa im dritten Film der "Matrix"-Trilogie sich im Zuge einer Störung der Matrix das Bild wieder zusammensetzt, Pixel für Pixel, dann ist es eine über den Gehweg laufende Katze, mittels derer die Wiederbelebung einer künstlichen Welt (die für die reale gehalten wird) verdeutlicht wird.

Gerade die Kürze solcher Szenen betont das Fundamentale. In "Nemesis” (Stark Trek) nimmt der Bruder des Androiden Delta eine Katze in den Arm. Das dauert drei Sekunden, in denen die Katze einmal miaut und sodann dem betont trottelhaften Delta-Bruder vom Schoß springt. Auch hier wieder: Katzen suchen nur unsere Nähe, um sich ihr zu entziehen. Weshalb sich selten längere Interaktionen ergeben. In "Men in Black II” entspinnt sich folgender Mini-Dialog mit einer Katze, die gerade des Weges kommt:

"Miau!”
"Hallo Bruno.”

Ja, das war es auch schon. Und man darf sich hier erneut fragen, wozu der Regisseur eine solche Sequenz einbaut. Eine Sequenz, die sich in keiner Weise aufdrängt und dennoch zwangsläufig anmutet. Wie Blätter, die im Herbst von Bäumen fallen. Oder Schneeflocken im Winter aus dem Himmel. Katzen geraten in unser Leben gleich kurzlebigen, aber stets aufs neue aufblitzenden Teilchen. Ein knappes Raunzen, ein Sprung vom Sofa, ein Hauch von Berührung, sternschnuppenartige Aufmerksamkeit, kleine Gesten durchtriebener Langeweile. Manchmal freilich wird auch gefaucht, so wie eine Billardkugel gestoßen wird – danach ist die Stellung eine andere. Wobei Katzen ja auch Menschen anzufauchen pflegen, die ihnen helfen oder sie liebkosen wollen. Die Undankbarkeit der Katze beweist erneut ihre göttliche Entsendung. Man stelle sich einen Gott vor, der sich bedankt: lächerlich!

Es soll Filmproduzenten geben, welche, ein neues Drehbuch in Händen, den Autor fragen: "Und wo ist die Katze?” Wenn der Autor dann fragt, welche Katze, bekommt er zur Antwort: "Bauen Sie gefälligst eine Katze ein.”

Und Recht haben solche Filmproduzenten. Denn tatsächlich existieren eine Menge Filme, die gleich sehr viel erträglicher wären, würde die eine oder andere "zwecklose” Katze durch die Szenerie schleichen. Sie schleichen ja die meiste Zeit, diese Tiere, solcherart die Rolle des hinterlistigen Mäusefängers erfüllend (und somit die Erwartungshaltung der Zuseher und vielleicht auch der Mäuse), während kaum eine Hauskatze ernsthaft an der blutigen Jagd nach quirligen, kleinen Krankheitsüberträgern interessiert ist. Schließlich hat auch der Mensch aufgehört, Mammuts zu jagen. – Natürlich, Mammuts sind ausgestorben. Aber würden wir sie jagen, wären sie es nicht?

Wenn Katzen in Filmen Mäusen auflauern oder sie gar in sadistischer Weise durch die Luft wirbeln, dann um die Grausamkeit des Lebens an sich zu verdeutlichen. Aber dieses Bild kommt nur noch selten zum Einsatz. Heutzutage ist die Katze eine Katze, vergleichbar der Rose, die eine Rose ist. Das Sterben der Rose ist kein Thema in der Kunst, das Sterben der Katze ebensowenig. Wenn in manchen Thrillern die Hauskatze erdrosselt wird, um solcherart die Katzenbesitzer aufzuschrecken und auf Schlimmeres vorzubereiten, dann handelt es sich fast immer um perverse und indiskutable Machwerke. Eine ernst zu nehmende Filmkatze stirbt nicht, kann nicht sterben. Jones’ Überleben in "Alien” ist logisch und also keine Überraschung. Dennoch war damals, als der Film herauskam, das Publikum erleichtert ob des geretteten Katers Jones. Da hätte der dritte Offizier Ripley tausend Tode sterben können.

Sehr schön ist das auch in Alex Proyas’ "I, Robot” zu sehen, wo der Hauptheld Will Smith aus einem Haus rennt, das von einem automatisch agierenden, monströsen Abrisswagen blitzschnell demoliert wird. Vor Smith her rennt die Hauskatze Asimov aus dem einstürzenden Gebäude. Und jeder Zuseher, der größte Katzenhasser noch, bangt in diesem Moment um die Katze. Den großmäuligen Will Smith die Katastrophe überstehen zu lassen, nicht aber die Katze, wäre ein vollkommen undenkbarer Bruch mit den Gesetzen. Das Publikum zittert um die Katze, weil es einen solchen unmöglichen Bruch fürchtet. Um schließlich zufrieden festzustellen, dass alles ist, wie es sein muss. Das Überleben der Katze ist nämlich ein Gesetz, das wir für ein gutes halten.

Genau eine solche überlebende Katze, wie sie der Kater Jones im ersten "Alien"-Film darstellt, fehlt den anderen Filmen der Reihe, wobei im zweiten Teil der Quadrilogy Jones wenigstens ikonenartig am Beginn steht. Praktisch pensioniert, nicht als Katze, aber als Überlebender, während die dumme Ripley sich nun endgültig in den Teufelskreis der Fortsetzungsgeschichte und der schnörkelartig wiederkehrenden Brustkorbsprengungen begibt. Das Fehlen der Katze in "Alien" stört nur darum nicht, weil dies schlichtweg ein gut gemachter Film ist, in Jean-Pierre Jeunets unsäglicher Blut- und Beuschelkoketterie "Alien – die Wiedergeburt” hingegen wünscht man sich unentwegt den guten alten Jones herbei, damit er inmitten all der unwürdigen Alien-Opfer (und in diesem Film leider auch unwürdigen Aliens) sich mit einem bisschen Gefauche und weitgehend unsichtbar über das Dilemma von Flucht, Verfolgung und Gegenwehr erhebt.
 
Um niemanden außer sich selbst zu retten. Während Hunde, aber auch Delphine und Pferde und Gott weiß was für Viecher natürlich ständig Menschen retten und dabei ganz selbstlos bleiben. Eine selbstlose Katze hingegen ist Blödsinn. Jene weiße Kurzhaarkatze, die das schlichte Appartement von Korben Dallas (Bruce Willis) in Luc Bessons "Das fünfte Element” bewohnt, bleibt konsequenterweise vor dem Fernseher liegen, als der Held der Geschichte darangeht, die Welt zu retten, die perfekte Frau zu finden, Aliens niederzumetzeln ... Die Katze aber taucht nie wieder auf. Das tut sie ohnehin so gut wie nie im Film, ohne dass einem freilich der Gedanke käme, ihr sei etwas zugestoßen. Wie sagt Korben Dallas: "Katzen kommen wenigstens immer wieder zurück.” Meist erst nach Ende des Films, wenn sich alles wieder beruhigt hat, die Welt zu Ende gerettet wurde, die perfekte Frau sich verdünnisiert hat, die neuen Aliens noch in den Kinderschuhen stecken ... Dann ist sie da, die Katze. Das ist gewiss.

Heinrich Steinfest, Jahrgang 1961, lebt als Schriftsteller in Stuttgart. Mit seinem letzten Kriminalroman Ein dickes Fell wurde er für den Deutschen Bücherpreis nominiert.