"Was hat das Schreiben für einen Sinn, wenn man sich dabei nicht selbst zum Narren macht?" - Virginia Woolf in ihren Briefen

Von Irene Ferchl

Nach den Romanen, Erzählungen, Essays und Tagebüchern sind zum Abschluss der Werkausgabe von Virginia Woolf im S. Fischer Verlag jetzt auch zwei Briefbände erschienen. Sie enthalten knapp ein Drittel der über viertausend in England bekannten Briefe sowie hilfreiche Kommentare zu Briefpartnern und der Biografie oder Details, auf die angespielt wird.

Tausend Seiten – und wo immer man sie aufschlägt, ist man verblüfft über Woolfs Spontaneität und den Witz ihrer Schilderungen, den Scharfsinn und die Selbstironie, mit der sie Pointen setzt: zum Amüsement für die Adressaten und wohl auch ein bisschen zu ihrem eigenen.

Glücklicherweise ist diese Korrespondenz erhalten geblieben, denn ihre Lektüre ist ein großes Vergnügen und daneben aufschlussreich für die Betrachtung von Leben und Werk.

Man blättert, liest den ersten Brief von der etwa Sechsjährigen an Leslie Stephen ("MEIN LIEBER VATER / WIR WAREN NOCH NICHT SCHWIMMEN ABER WIR GEHEN MORGEN WIR HABEN IN DEM ZUG GESUNGEN DEINE DICH LIEBENDE VIRGINIA") und die beiden Abschiedsbriefe vor ihrem Selbstmord am 28. März 1941 an den Ehemann Leonard, in denen sie ihm versichert, dass er ihr "das größtmögliche Glück geschenkt" habe, sie aber die Krankheit, die Anfälle von Wahnsinn, diesmal nicht mehr überwinden könne.

Man pickt sich Briefe an bestimmte AdressatInnen heraus, an Verwandte, Bekannte, die geliebten Freundinnen Violet Dickinson und Vita Sackville-West, verfolgt bestimmte Jahre oder das Entstehen eines Buches, seines Lieblingsromans, was dank eines sogar die Briefinhalte aufschlüsselnden Registers leicht geht.

"Übrigens, Deine Geschichte über den Nachtfalter fasziniert mich so, daß ich eine Erzählung darüber schreiben werde. Ich konnte stundenlang, nachdem ich Deinen Brief gelesen hatte, an nichts anderes als an Dich und die Nachtfalter denken. Ist es nicht seltsam – vielleicht stimulierst Du das literarische Gespür in mir so wie ich, wie Du sagst, Dein malerisches Gespür stimuliere."

In einem Brief an die Schwester Vanessa Bell vom 8. Mai 1927 findet sich diese erste Erwähnung für ein Buchprojekt "The Moth", aus dem dann der Roman The Waves (Die Wellen) werden sollte. Zweieinhalb Jahre später gesteht sie dem Kollegen Gerald Brenan: "Du sagst, Du kannst Dein Buch nicht fertigschreiben, weil Du keine Methode hast, sondern nur Punkte siehst, hier und da, ohne verbindende Linie. Und das ist exakt der Zustand, in dem ich mich in diesen Augenblicken befinde, zu Beginn eines weiteren Buches. Was nützen mir all die Bücher, die ich geschrieben habe? Nichts. Ist es der Fluch unserer Zeit oder was? Das Irrlicht zieht weiter, und ich sehe seinen Schein (wenn ich nachts im Bett liege, oder vor einem Feuer sitze) so hell wie Sterne, und kann ihn nicht erreichen. […] Ich gebe es auf. Nicht das Schreiben von Büchern meine ich; nur das Verstehenwollen meiner eigenen Psychologie als Schriftstellerin. Ich dachte, ich hätte wenigstens gelernt, schnell zu schreiben: jetzt sind es hundert Worte an einem Vormittag, und krakelig und in Handschrift, wie bei einem Kind von zehn. Und nach all den Jahren weiß man nie, wie man enden soll, wie man weitermachen soll: man sieht nie mehr als eine Seite im voraus; warum also tut man so, als sei man ein Schriftsteller? Warum heftet man nicht einfach seine verstreuten Seiten zusammen – wahrscheinlich wäre es klug, das zu tun."

Nicht nur der immer existierende Selbstzweifel, auch der Alltag erschwert ihre Arbeit. In einem Brief an Ethel Smith vom September 1930 berichtet sie, wie sie nach dem Tee herumtrödelt – in "der fruchtbaren Stunde, der Stunde zum Brüten und Planen und dazu, alle Hindernisse in den Waves mit Phantasie zu überwinden" –, wie es ans Fenster klopft und die Nachbarn von den Landgütern oder Bekannte aus der Stadt mal eben auf einen Lunch vorbeischauen. "Was kann ich derart in die Ecke gedrängt und angefleht anderes tun als sagen Oh in Ordnung, kommt herein; ihr habt 10 Seiten meines Buches ruiniert; ich werde diese Stimmung nie wieder einfangen; aber bitte, nehmt unter allen Umständen Platz, während ich den Kessel aufsetze, Toast mache und euch die Goldfische zeige."

Ende Februar 1931 hat sie das Manuskript allen Widrigkeiten zum Trotz abgeschlossen, aber es sei – schreibt sie dem Schwager Clive Bell – "ein Fehlschlag. Zu schwierig: zu sprunghaft: alles in allem zu unausgegoren".

Das "unmögliche Buch" erscheint am 8. Oktober im eigenen Verlag, der Hogarth Press, und, so teilt sie dem Lyriker John Lehmann mit, "ich bin ziemlich bestürzt zu hören, daß wir 7000 gedruckt haben: denn ich bin ziemlich sicher, daß 3000 jeglichen Appetit befriedigen werden; und dann werden die anderen 4 für immer wie verwesende Leichen im Arbeitszimmer um mich herum sitzen (ich habe den Tisch aufgeräumt – für Dich, nicht für die Leichen). Ich pflichte Dir bei, daß das Buch sehr schwierig ist – es starrt vor Entsetzlichkeiten, obwohl ich nie so hart wie in diesem Fall daran gearbeitet habe, sie zu glätten. […] ich wollte alle Details eliminieren, alle Fakten; und Analysen; und mich selbst […] und die Schnelligkeit der Prosa bewahren und dennoch den einen oder anderen Funken schlagen und nicht poetisch schreiben, sondern reinrassige Prosa; und die Elemente der Charaktere wahren; und dennoch sollte es viele Charaktere geben, und gleichzeitig nur einen; und dazu eine Unendlichkeit, einen Hintergrund dahinter – nun, ich gebe zu, ich habe ein zu großes Stück abgebissen."

Das hat sie keineswegs; wie schon die zeitgenössische Kritik hält auch die Nachwelt Die Wellen für Virginia Woolfs Meisterwerk – dieser sechste Roman verkaufte sich sogar besser als jeder ihrer früheren, noch im Herbst 1931 wurden 5000 Exemplare nachgedruckt.

"Habe ich Dir erzählt, daß ich Yeats getroffen habe?", schreibt sie im November 1934 an Ethel Smith. "Und er sagte (hier kommt meine Eitelkeit ins Spiel) ‚Ich schreibe über die Waves‘ […] Ich habe das natürlich als Kompliment genommen, von den Lippen unseres größten lebenden Dichters."


Zum Weiterlesen:

Virginia Woolf, Briefe 1: 1888–1927 und Briefe 2: 1928–1941. Deutsch von Brigitte Walitzek. Hrsg. von Klaus Reichert. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2006. 549 bzw. 512 Seiten, jeweils 39 Euro

Dies., Die Wellen. Roman. Deutsch von Maria Bosse-Sporleder. S. Fischer, Frankfurt a. M. 2003. 240 Seiten, 8,90 Euro

Susanne Amrain, So geheim und so vertraut. Virginia Woolf und Vita Sackville-West. Suhrkamp TB 3826, Frankfurt a. M. 2006. 339 Seiten, 11 Euro

Das Schauspiel Stuttgart wird Virginia Woolfs Roman Die Wellen als deutschsprachige Erstaufführung in der Regie von Ulrich Rasche auf die Bühne bringen, Premiere ist am 26. Januar im Kammertheater.