„Sie war die wunderbarste Frau...“ Zum 200. Todestag von Sophie von La Roche

Von Christel Freitag

„Sie war die wunderbarste Frau, und ich wüsste ihr keine andere zu vergleichen. Schlank und zart gebaut, eher groß als klein, hatte sie bis in ihre höheren Jahre eine gewisse Eleganz der Gestalt sowohl als des Betragens zu erhalten gewusst, die zwischen dem Benehmen einer Edeldame und einer würdigen bürgerlichen Frau anmuthig schwebte.“ So beschreibt Goethe die Schriftstellerin Sophie von La Roche im 13. Buch von Dichtung und Wahrheit. Als 23-jähriger Doktor der Rechte weilt er im Herbst 1772 erstmals im Hause La Roche in Koblenz-Ehrenbreitstein. Für den damals noch unbekannten Dichter wird die zwanzig Jahre Ältere zur mütterlichen Freundin, mit der er einen intensiven Briefwechsel pflegt. Fast dreißig Jahre später treffen sich die beiden noch einmal auf Christoph Martin Wielands Gut in Oßmannstedt. Nun aber empfindet Goethe die einstmals so geschätzte Frau als alt und geschwätzig, wenngleich, wie er zugeben muss, „ihre Unterhaltung interessante Stellen“ hat. Sophie von La Roches schriftstellerischer Ruhm ist verblasst. Sie wohnt mit ihren Enkeln in ihrer „Grillenhütte“ in Offenbach, denn Schicksalsschläge haben ihr Leben in den vergangenen Jahren entscheidend verändert. Aber sie gibt nicht auf, sie schreibt noch immer, spinnt ihre „Buchstabengrillen“ und publiziert bis kurz vor ihrem Tod am 18. Februar 1807. Einige Nachrufe erinnern an ihre einstige Berühmtheit: Wieland lobt die „gute Mutter von Teutschlands Töchtern“ noch in seinem Teutschen Merkur, aber schon kurze Zeit später scheint sie vergessen.

Wer war diese Sophie von La Roche, die einst so bewunderte, populäre Bestsellerautorin?

Im alten Taufregister des evangelischen Kirchenarchivs in ihrer Geburtsstadt Kaufbeuren findet sich ihr Taufeintrag vom 6. Dezember 1730. Der Vater, Georg Friedrich Gutermann, hatte in Tübingen, Straßburg und Leiden Medizin studiert und arbeitet als Stadtphysicus in der katholisch geprägten Freien Reichsstadt im Allgäu. Seine erste Tochter Sophie ist ein ungewöhnlich begabtes Kind und lernt spielerisch lesen und schreiben. „Mein Vater machte mich früh die Bücher lieben, da er mich oft, ehe ich volle zwei Jahre alt war, in seine Bibliothek trug, wo er mich mit den schönen Verzierungen der Einbände und Titelblätter zu belustigen suchte und es auch damit so weit brachte, dass ich mit drei Jahren vollkommen lesen konnte.“

1737 siedelt die sich rasch vergrößernde Familie Gutermann nach Lindau um, 1741 nach Augsburg. Für Sophies Vater bedeutet der Umzug in die Großstadt einen gesellschaftlichen Aufstieg. Als Dekan des medizinischen Kollegiums wird er in den Reichsadelsstand erhoben und darf sich nun Gutermann von Gutershofen nennen. Sophie unterstützt ihre Mutter im Haushalt und stöbert weiterhin in der Bibliothek. Mit dreizehn Jahren bittet sie ihren Vater, Unterricht beim evangelischen Theologen und Philosophen Johann Jakob Brucker nehmen zu dürfen – vergeblich. Für Mädchen steht vernünftige Haushaltsführung auf dem Ausbildungsplan, nicht etwa das Studium der lateinischen Sprache. Mit fünfzehn erhält Sophie ihren ersten Heiratsantrag, mit siebzehn verlobt sie sich mit Giovanni Ludovico Bianconi. Doch der pietistische Vater verbietet eine Heirat mit dem katholischen Arzt.

„Ich mußte meinem Vater alle seine Briefe, Verse, schöne Arien in sein Cabinet bringen, mußte alles zerreißen und in einem kleinen Windofen verbrennen; Bianconi’s Portrait mußte ich mit der Schere in tausend Stücke zerschneiden, einen Ring mit Brillanten und der Umschrift: ohne Dich nichts (sans vous rien) mit zwei in den Ring entgegen gesteckten Eisen, entzwei brechen und die Brillanten auf den rothen Steinen umher fallen sehen.“

Die unglückliche Sophie wird zu entfernten Verwandten nach Biberach in ein streng protestantisches Pfarrhaus gesteckt. Dort lernt sie den Sohn des Hauses, Christoph Martin Wieland, kennen und tauscht mit ihm heimliche, kleine Botschaften. Es erstaunt, wie schnell sich Sophie von den Liebesschwüren des drei Jahre Jüngeren bezaubern lässt, ist er doch ohne Ausbildung und attraktiv kann man ihn auch nicht gerade nennen: Das Gesicht ziert eine lange Nase und ist von Blattern übersät.
Bald wird das junge Brautpaar wieder getrennt: Wieland muss zum Studium nach Tübingen und Sophie fühlt sich immer unwohler im Biberacher Pfarrhaus, besonders Wielands Mutter macht ihr das Leben schwer: „Die liederliche Dirn […], vergangene Wochen war sie immer in Warthaussen, und hat sich unter anderem auch mit verkleiden lustirt, dieße Wochen wird sie mit der Jungen Herschaft Comödien spieln, […] ich wollte ich häte sie mein lebtag nie gesehen, […] wan mein Sohn das Mensch zu seiner Frau bekomt, so ist er sein lebtag ein armer Mann und Märtherer.“

Doch so weit soll es gar nicht kommen. Sophie löst das Verlöbnis und heiratet 1753 in der Schlosskapelle von Warthausen Georg Michael Frank La Roche, der dem Schlossbesitzer als Privatsekretär und Verwaltungsfachmann dient. Nach sieben zwischendurch in Mainz verbrachten Jahren fühlt sie sich später wieder wohl in Warthausen. Sie hat ihren Mann schätzen gelernt, sich mit Wieland versöhnt und genießt als Konversationsdame des Grafen Stadion das höfische Leben. Bis zum Spätsommer 1770, zwei Jahre nach dem Tode des Grafen, lebt sie mit ihrer Familie in Warthausen, dann übersiedeln sie auf Schloss Bönnigheim bei Heilbronn.

Sie ist nun fast vierzig Jahre alt, die Töchter werden im Internat erzogen, der Mann ist ständig auf Reisen. Nur ihre beiden kleinen Söhne und ein Kindermädchen bestimmen den Tagesablauf. In Bönnigheim ist die einst so aufgeweckte Hofdame nur noch die Frau des Oberamtmanns. Sie vermisst das abwechslungsreiche, gesellschaftliche Leben, die illustren Gäste und anregenden Gespräche. In ihrer Einsamkeit schiebt sie ihren Schreibtisch ans Fenster und schreibt. Da ihre Töchter von anderen erzogen werden, schafft sie sich „papierne Mädchen“ und entwickelt ihre eigene, Sophies Geschichte, Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Die Manuskriptbögen schickt sie an Wieland zur Korrektur – und dieser antwortet begeistert: „Allerdings, beste Freundin, verdient ihre Sternheim gedruckt zu werden; und sie verdient es nicht nur; nach meiner vollen Überzeugung erweisen Sie Ihrem Geschlecht einen wirklichen Dienst dadurch. Sie soll und muß gedruckt werden, und ich werde ihr Pflegevater sein.“

Wieland schreibt die Vorrede, fügt Anmerkungen hinzu und ebnet so als Herausgeber den Weg zum Publikum. Der erste Teil des Romans erscheint anonym im Mai 1771, der zweite vier Monate später. Der Erfolg ist überwältigend. Es kommt noch im Erscheinungsjahr zu drei zusätzlichen Auflagen, weitere folgen. Übersetzungen ins Französische, Englische, Niederländische, Russische, Schwedische und Dänische machen den Roman zu einem internationalen Bestseller. Ein wahrer Sternheim-Kult bricht los. Alles, was in der deutschen Literatur Rang und Namen hat, pilgert nach Koblenz-Ehrenbreitstein, in das neue Domizil. Sophie La Roche wird zur literarischen Berühmtheit. Jakob Michael Lenz und Johann Georg Sulzer loben den empfindsamen Stil der Romanautorin und verkünden in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen: „Die Frau hat allemal mehr Verstand als die meisten, die man für die großen Richter der deutschen Literatur ausgibt.“

Georg Michael Frank La Roche wird als Konferenzminister des Kurfürsten von Trier in den Adelsstand erhoben, die älteste Tochter Maximiliane heiratet den schwerreichen Frankfurter Kaufmann Peter Anton Brentano und Sophie von La Roche möchte sich erneut ihren „papiernen Mädchen“ widmen. Doch ein Schicksalsschlag macht alle Träume zunichte: Ihr Ehemann wird wegen allzu freigeistiger Ansichten seines Amtes enthoben, verliert jegliche Pensionsanspüche, ist auf die Wohnung und finanzielle Unterstützung eines loyalen Kabinettskollegen in Speyer angewiesen. Sie fügt sich in das Schicksal, packt erneut Kisten und Koffer und beschließt, eine Zeitschrift für Frauen zu gründen. Im Januar 1783 erscheint das erste Heft ihrer Monatsschrift für Teutschlands Töchter. Sie gilt als erste Zeitschrift in Deutschland, die von einer Frau für Frauen herausgegeben wird. In der Einleitung heißt es: „Das Magazin für Frauenzimmer und das Jahrbuch der Denkwürdigkeiten für das schöne Geschlecht – zeigen meinen Leserinnen, was teutsche Männer uns nüzlich und gefällig achten. Pomona – wird Ihnen sagen, was ich als Frau dafür halte.“

In diesem neuartigen Frauenmagazin Pomona finden sich Gedichte und Erzählungen, Gedanken über gute Umgangsformen und Mode, Ideen zu einem zeitgemäßen Schulunterricht für Mädchen, eine Fortsetzungskolumne und Reiseberichte. Sophie von La Roche stärkt mit ihren Schriften das Selbstbewusstsein ihrer Leserinnen und formuliert nebenbei auch noch eine Lektion für die Männer: „Hingegen sollten junge Männer auch gewöhnt werden, uns nicht nur in der Jugend wegen der Anmuth unserer Reize für artige Puppen ihrer Tändeljahre, und als Weiber – für erworbenes Hausgeräthe zu achten, sondern das Verdienst der Freundin in uns zu betrachten, und zu verehren.“

Nicht immer wagt die Schriftstellerin und Herausgeberin, solche emanzipatorischen Gedanken zu publizieren, meist fügt sie sich dem traditionellen Rollenverständnis, versucht aber die Frauen in ihrer Selbstachtung und ihrem Stolz zu stärken. Die Liste der Abonnenten ist lang: Rund siebenhundert Namen sind verzeichnet, nicht nur Frauen, auch Männer. Leser aus dem Bürgertum wie aus den aufgeklärten Kreisen des Adels bestellen ihre Monatszeitschrift, die bekannteste Abonnentin ist sicherlich die russische Zarin. Sophies Mann ist über die neue journalistische Tätigkeit seiner Frau nicht allzu entzückt. Vor allen Dingen irritiert ihn, dass sie mit ihrer Arbeit die Ausbildung der Söhne finanziert, denn er fürchtet das Gerede der Leute.

Nach zwei Jahren ist Sophie von La Roche mit ihrem Elan am Ende. Der Vertrieb, erste Absatzprobleme, der häusliche Zwist und vor allem die zeitaufwendige Schreibarbeit zermürben sie. Doch sie kommt auf neue Gedanken, beschließt Europa zu bereisen und ihre Erlebnisse zu veröffentlichen – tatsächlich avanciert sie zu einer der ersten Berufsschriftstellerinnen. In einer Zeit, in der es noch skandalös ist, als Frau alleine zu verreisen, besteigt sie beinahe den Gipfel des Montblanc, besucht Frankreich, Holland, England und berichtet von ihren Abenteuern. Die letzten Jahre ihres Lebens verbringt sie dann in Offenbach, die längste Zeit im Witwenstand. Zurückgezogen lebt sie in ihrer „Grillenhütte“ und schreibt an ihren Erinnerungen. Am 18. Februar 1807 stirbt Sophie von La Roche und wird im Familiengrab in Offenbach-Bürgel beigesetzt.

Zum Weiterlesen:
Sophie von La Roche, Geschichte des Fräuleins von Sternheim. dtv, München 2007. 350 Seiten. 10 Euro

Helga Meise (Hg.), Sophie von La Roche-Lesebuch. Ulrike Helmer Verlag, Königstein, 2005. 312 Seiten, 20 Euro

Maurer, Michael (Hg.), Ich bin mehr Herz als Kopf. Sophie von La Roche. Ein Lebensbild in Briefen. C. H. Beck, München 1983, 464 Seiten (antiquarisch)
Armin Strohmeyer, Sophie von La Roche. Eine Biographie. Reclam Leipzig 2006. 301 Seiten, 19,90 Euro

Jeannine Meighörner, „Was ich als Frau dafür halte“. Sophie von La Roche. Deutschlands erste Bestsellerautorin. Sutton Verlag, Erfurt 2006. 14,90 Euro

Viia Ottenbacher / Heinrich Bock, "… schönere Tage sah ich nie …". Sophie von la Roche in Warthausen. Spuren 38, Marbach a. N. 1997. 16 Seiten, 4,50 Euro

Christel Freitag, geboren 1956 in Bad Kreuznach, arbeitete als Buchhändlerin und studierte dann Schulmusik, Musikwissenschaft und Germanistik in Saarbrücken. Sie arbeitet als Kulturredakteurin beim SWR in Tübingen.