Interview mit Steinfest und Schorlau

Heinrich Steinfest und Wolfgang Schorlau im Gespräch über Krimis im Allgemeinen und ihre eigenen Erfahrungen mit dem Genre

Beide sind mit ihren Kriminalromanen erfolgreich und wurden dafür mit dem deutschen Krimipreis ausgezeichnet, beide leben in Stuttgart und siedeln die Handlung ihrer Romane zum Teil auch hier an. Sonst jedoch haben sie recht unterschiedliche Vorstellungen.

Der Wiener Heinrich Steinfest gilt seit einigen Jahren als Kultautor, seine Bücher erscheinen bei Piper, darunter Cheng, Ein sturer Hund, Nervöse Fische, Ein dickes Fell, zuletzt Die feine Nase der Lilli Steinbeck.

In der Reihe „Fluxus“ ist ab 31. Januar im Marbacher Literaturmuseum der Moderne die Ausstellung „Verdächtige Objekte oder Steinfests Ermittlungen“. zu sehen.

Wolfgang Schorlau hat nach seinen Krimis Die blaue Liste und Das dunkle Schweigen 2006 „Denglers dritten Fall“ Fremde Wasser bei Kiepenheuer & Witsch veröffentlicht.

Am 13. Februar spricht Wolfgang Schorlau in seiner Reihe „Stuttgarter Kriminächte“ mit dem Kollegen Heinrich Steinfest im Café der Buchhandlung Wittwer.

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In diesem Winter haben nach meinem Eindruck so viele Krimilesungen, Kriminächte, Krimifestivals stattgefunden wie noch nie zuvor, ist das ein Boom? Wie seht ihr das als beteiligte, vielerorts eingeladene Krimiautoren?

Schorlau: Ich finde es erfreulich, insofern es viele Auftrittsmöglichkeiten gibt.
Leider kann man längst nicht mehr alle neu erscheinenden Krimis lesen, nicht mal mehr einen Bruchteil. Ich hab’s eine Weile versucht und, um ehrlich zu sein, es war nicht immer erfreulich …

Die Frage nach dem Kriminalroman als Genre wollte ich noch zurückstellen, bleiben wir zunächst bei dem Krimi-Hype: überall findet inzwischen eine „Nacht der langen Schatten“ oder Ähnliches  statt …

Steinfest: Mit diesen horriblen Titeln werden Erwartungshaltungen geweckt, die eigentlich völlig überholt sind. Da müssen dann blutrote Messer dabei sein und Pistolen, der Krimi wird sozusagen reduziert auf ein Spannungselement aus Agatha-Christie-Zeiten. Das widerspricht ja der Neudefinition des Genres: Was es für mich interessant macht, ist, dass der Krimi jetzt viel freier gehandhabt wird.

Natürlich ist es erfreulich, dass seit Jahren eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Genre stattfindet, dass es mehr spezialisierte Kritiker gibt, dass sich mehr Leute aus dem wissenschaftlichen Bereich damit beschäftigen, und diese Festivals sind ein Ausdruck davon. Das hat aber auch seine Nachteile. Nicht nur der Krimi boomt, sondern auch das Krimischreiben. Viele Leute betreiben das so wie früher Aquarellmalerei oder Lyrik, weil sie meinen, das können sie auch, und weil sie irgendwelche Machenschaften kennen, machen sie einen Krimi daraus. Als wär’s Ikebana.

Ist Krimis zu schreiben leichter oder schwerer als Literatur zu schreiben?

Schorlau: Diese Frage transportiert die Auffassung, dass Krimis nicht zur Literatur gehören. In Wahrheit sind sie ein Teil davon. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob Kriminalromane tatsächlich ein eigenes Genre sind. Woran will man es festmachen? An einer Leiche? Die gibt es in vielen anderen Romanen auch. Dass es einen Kommissar gibt? Den gibt es in vielen Krimis nicht. Es ist eher eine gefühlsmäßige Definition. Und man kann gut oder schlecht schreiben, wie bei jedem anderen Buch auch.

Dient das Etikett Krimi dem Marketing?

Schorlau: Vermutlich verkauft sich ein mittlerweile Buch leichter, wenn Krimi draufsteht. Gottseidank ist die Schranke gefallen, jedenfalls ist der Krimi nicht mehr so nahe beim Bastei-Groschenroman angesiedelt.

Steinfest: Es ist gefährlich: Was mir bei diesen Festivals auffällt, ist, dass wieder so eine Art Nischendasein entsteht. Auf der einen Seite wird viel über Krimis gesprochen, sie sind erfolgreich, das ist sicherlich gut, weil man sich mit Romanen auseinandersetzt, die dieses Genre bedienen, aber gleichzeitig findet erneut eine Gettoisierung des Kriminalromans statt, jetzt witzigerweise durch seinen Erfolg. Erneut erscheint der Kriminalroman als ein Spezialfall der Literatur, ein bisschen wie eine Krankheit (derzeit halt eine interessante Krankheit).

Mir fällt auf, dass es immer „Krimi-Nacht“ heißen muss, auch wenn um 20 Uhr gelesen wird, und immer zwei oder drei Autoren auftreten, als könne man nicht mit nur einem von uns einen Lese-Abend bestreiten.

Das ist bei Lyrik auch so … Du denkst aber schon, dass Krimiliteratur ein Genre ist?

Steinfest: Ja, ich denke schon. Aber bei jedem Genre gibt es Grenzerscheinungen, auch in den Krimi fließen andere Aspekte der Literatur ein. Es gibt Autoren, die von der Hochliteratur kommen und in einem postmodernen Übereifer dieses Genre bedienen, indem sie Elemente davon aufnehmen …

Schorlau: … oder gleich Krimis schreiben, da könnten wir einige ganz misslungene Beispiele nennen …

Steinfest: … aber eben von der Hochliteratur kommen. Ich selbst sehe mich als jemand, der mit diesem Genre aufgewachsen ist und von Anfang an dezidiert Kriminalromane geschrieben hat – obwohl ich zugebe, dass es ganz schwer zu definieren ist –, und jetzt eben andere Dinge mit reinnimmt, die Philosophie, die Groteske, die Tiergeschichte, was auch immer. Ich bin jemand, der das ganz breit sieht, das ist der Unterschied zu denen, die sich heute des Krimis bedienen, morgen der Sciencefiction und übermorgen des Horrorromans.

Habt ihr beide euch, als ihr mit dem Schreiben begonnen habt, gleich für den Krimi entschieden?

Schorlau: Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Die Stoffe, die ich bearbeite, bräuchten weder einen Serienhelden noch das Genre. Der Grund, warum ich es trotzdem benutze, hat eher mit meiner eigenen Vorliebe für den Kriminalroman zu tun und damit, dass ich unbedingt einen Serienhelden haben wollte.

Ist der Krimi für dich ein Transportmittel für deinen politischen Impetus, um deine Gesellschaftskritik besser an die Leute zu bringen? Zum Beispiel hätte ein Sachbuch über das Wasser sicher nicht denselben Erfolg wie der Krimi Fremde Wasser

Schorlau: Das ist schon so. Mit den Dengler-Romanen versuche ich ja, relativ komplizierte Sachverhalte spannend und allgemeinverständlich darzustellen.

Bei dir, Heinrich, geht es um etwas anderes: um Sprache und die Frage, was sich erzählen lässt …

Steinfest: Vielleicht ist es doch ähnlich, vielleicht geht es mir auch darum, was ich mache, besser an die Leute zu bringen. Zwar sind es bei mir eher Fiktionen, Modelle, Weltkonstruktionen, womit sich auch die Hochliteratur gerne beschäftigt. Wobei ich sagen muss, dass ich mir darüber nie wirklich Gedanken gemacht habe, zum Kriminalroman bin ich aufgrund einer sehr privaten, aber logischen Entwicklung gekommen. Erst durch Interviews gerät man dann in die Situation, sich dafür rechtfertigen zu müssen. Ich denke, ein Autor der Hochliteratur wird nicht gefragt, warum er Gesellschaftsromane schreibt …

Schorlau: … und warum er keine Krimis schreibt!

Steinfest: Das hängt wohl wieder mit diesem Getto zusammen und mit der Vorstellung, dass man als Krimiautor etwas Merkwürdiges, etwas leicht Abartiges tut, was man erklären soll. Man legt sich mit der Zeit Argumente zurecht, aber ich habe einfach festgestellt, wie gut der Kriminalroman zu dem passt, was ich tun möchte. Es ist die richtige Romanart für mich, ich kann alles, was ich will, damit ausdrücken, warum sollte ich also darauf verzichten? Und diese gewisse Einengung durch einen Plot finde ich eher angenehm.

Schorlau: Was das Getto betrifft: Ich empfinde es nicht so, dass die Leser den Kriminalroman ins Getto stecken, denn er ist populär und, das sagen die Buchhändler, im Bereich der Belletristik das am stärksten wachsende Marktsegment. Ein Getto ist es auch nicht für die Autoren, denn das Krimischreiben ist die breiteste literarische Bewegung seit dem Zweiten Weltkrieg und ich kenne kaum eine kreisfreie Stadt, die nicht mindestens über ein, zwei fiktive Ermittler verfügt, vielleicht mehr als über wirkliche Ermittler. Es gibt einige gute, spezialisierte Kritiker, die sich auskennen, aber sie kommen zu wenig zu Wort. Kannst du dich an eine große Kritik in der Süddeutschen Zeitung erinnern?

Steinfest: Genau das meinte ich …

Heißt das, dass Krimis im bürgerlichen Feuilleton noch nicht angekommen sind? Und Ihr Euch mindestens dort nicht richtig ernst genommen fühlt?

Steinfest: Ich höre, dass es Kritiker gibt, die ein Problem mit dem Kriminalroman haben und interessanterweise auch mit dem Taschenbuch, und das hängt ja eng zusammen. Jeder Literat kennt die Diskussionen in den Verlagen, ob ein neues Buch gebunden oder als Taschenbuch erscheinen soll. Und gegenüber dem Krimiautor, selbst wenn er anerkannt ist und gute Verkaufszahlen hat und sogar ins Literarische driftet, heißt es eben immer, Krimileser würden lieber ein Taschenbuch kaufen, und das hat wieder mit der negativen Einschätzung zu tun. Krimis sind weniger wert, sie dienen nur der Unterhaltung – als ob andere Bücher nicht der Unterhaltung dienen würden! Ich denke, es hängt eigentlich vom Autor ab, ob Leser ein paar Euro mehr für ein gebundenes Buch ausgeben würden.

Vielleicht liegt das daran, dass man sich früher einen Krimi am Bahnhof für unterwegs gekauft und dann im Zug liegen gelassen hat, er also eine einmalige Lektüre war und man ihn nicht wie einen Klassiker ins Regal stellte.

Schorlau: Trifft das zu für Friedrich Dürrenmatt, Patricia Highsmith, Graham Greene?

Zumindest früher waren das Paperbacks, auch Agatha Christie und Chandler und Simenon …

Schorlau: Zweifellos, es gibt wenige Krimiautoren, die im Hardcover einen durchschlagenden Erfolg hatten, Henning Mankell sicher, aber selbst Fred Vargas?

Steinfest: Ich glaube, dass ein guter Krimi, egal ob eher philosophisch oder ein Spannungskrimi, gute Literatur ist, und er wird immer wieder lesenswert sein. Wenn der Reiz eines Buches nur darin besteht zu wissen, wer der Mörder war, ist das für mich so wie jene (nicht alle) Lokalkrimis, deren ganzer Sinn darin besteht, dass jemand eine Straßenecke wiedererkennt. Ein Buch muss eine Wirkung besitzen, die auch für Leute reizvoll ist, die diese Straßenecke nicht kennen.

Ich finde es prinzipiell nicht schlimm, im Taschenbuch zu erscheinen, es ist ja eine wunderbare Sache und man kann eigentlich stolz sein. Aber die Wertung beziehungsweise Abwertung mittels Isolation im Taschenbuch ist offenkundig.

Schorlau: Ich denke, es ist eine Verabredung: den Krimi gibt es als Taschenbuch. Mit der literarischen Qualität hat das nichts zu tun.

Das Stichwort vom Lokalkrimi würde ich gern noch einmal aufgreifen, aber zuerst: Wie viele Krimis erscheinen eigentlich im deutschsprachigen Raum?

Schorlau: Etwa acht- bis neunhundert Krimis erscheinen jährlich. [Übersetzungen?]Man kann sie unmöglich alle lesen …

Steinfest: … vor allem kann man die meisten nicht ertragen. Dabei habe ich per se nichts gegen Beschreibungen des Lokalen. Ich habe auch nichts gegen Wein. Aber was, bitte soll ein Wein-Krimi sein? In Malcolm Lowrys Unter dem Vulkan spielt der Alkohol eine große Rolle, aber darum ist es ja wohl kein Alkohol-Roman. Ich finde es schön, wenn ich beim Kollegen Schorlau Lokalitäten und Erscheinungen erkenne, weil ich in Stuttgart lebe, aber ich würde sie auch genießen können, hätte ich von Stuttgart keine Ahnung.

Schorlau: Der Kriminalroman hatte immer ein spezielles, und zwar ein positives Verhältnis zum Schauplatz, auch darin unterscheidet er sich von anderer Literatur. Ich habe Los Angeles über Chandler kennen gelernt, Chicago über Sarah Paretzky, und mir Paris erträumt durch Simenon – jeweils lange bevor ich in diesen Städten war.

Gibt es eine Erklärung für diese Tradition?

Steinfest: Chesterton sagt, die Detektivgeschichte sei „die früheste Form volkstümlicher Literatur, in welcher sich ein gewisser Sinn für den poetischen Gehalt des modernen Lebens ausdrückt“. Der Held ist ein urbaner Typus. Wir haben ja lange die Städte mit der Kriminalität assoziiert und das Land mit der Idylle, aber inzwischen ist man darauf gekommen, dass die Menschen am Land keine Engel sind. Und der Horror, der dort stattfindet, ist noch beklemmender, weil es weniger Ausweichmöglichkeiten gibt.

Man fragt sich ja immer wieder, was war eigentlich der erste Krimi, Das Fräulein von Scuderi oder Die Judenbuche, aber eigentlich hat es parallel mit dem Großstadtroman begonnen, Anfang des 20. Jahrhunderts …

Steinfest: Ja, es ist lächerlich, Shakespeare als den Urvater des Kriminalromans zu bezeichnen, weil da Verbrechen vorkommen.

Wir sind wieder bei der Definition. Ich denke, die Form der Serie hat schon etwas damit zu tun …

Schorlau: Stimmt, viele Krimis haben Serienhelden …

Steinfest: … was sie wieder mit anderen Randgenres verbindet, dem Ärzteroman, dem Sciencefiction-Roman, dem Schlossroman. Bei der Serie gibt es diesen Wiedererkennungseffekt, der Serienheld ist wie ein Freund, den wir ständig in derselben Kneipe treffen. Mit meiner Figur Cheng ist mir das auch passiert, ich hatte es nicht vor, es hat sich einfach ergeben, dass die alte Figur wieder auftauchte.

Hat die deutschsprachige Literatur durch die Krimis an internationalem Ansehen gewonnen? Werden sie, etwa eure Bücher, übersetzt?

Schorlau: Die Krimiszene hat einen guten Ruf, aber es gibt wenige Übersetzungen aus dem Deutschen, das Verhältnis ist so wie bei anderen Büchern auch.

Steinfest: Meinen Sturen Hund gibt’s auf Französisch. Aber mit Übersetzungen ist es ganz schwer. Da wäre es besser, Skandinavier zu sein.
 
Waren es nicht die Schweden Sjöwall / Wahlöö, die den Gesellschaftskrimi hierzulande populär gemacht haben?

Schorlau: Das war ein Urknall für die Kriminalliteratur, sie waren wegweisend.

Steinfest: Der Urknall für mich war Dürrenmatt, der, enttäuscht von Hochkultur und Kritik, sich auf damals originelle Weise eines nicht anerkannten Mittels von großer Popularität bedient hat. Er hat alles Wesentliche in dieses Medium übertragen, noch witziger und rasanter als in seinen Dramen. Das zweite Vorbild für mich ist Patricia Highsmith, die die Psychologie eingebracht hat. Bezeichnenderweise hat das eher den Deutschen gefallen als den Amerikanern.

Highsmith läuft zwar unter dem Label, wird aber auch von Leuten gelesen, die sonst eher einen Bogen um Krimis machen …

Schorlau: Wenn Leute zu mir sagen: Wissen Sie, Herr Schorlau, ich lese eigentlich gar keine Krimis, und das Näschen geht dann höher, fühle ich mich peinlich berührt, so als hätte in einer Gesellschaft jemand neben mir einen fatalen Furz gelassen.

Aber ich kenne Frauen, die sagen, sie können keine Krimis lesen, weil sie Angst vor den Beschreibungen von Verbrechen haben …

Steinfest: Auch bei Krimiautoren gibt es ja ganz unterschiedliche Zugänge zu Verbrechen und Gewalt. Mal eiskalt, mal leidenschaftlich, mal sozialkritisch, mal sarkastisch. Wenn Krimis literarisch hochwertig sind, ist vieles erträglich, unerträglich sind die, die ein schreckliches Thema haben und auch noch schlecht geschrieben sind. Das Famose an der Literatur ist ja, dass sie das Schreckliche durch die Sprache bannen kann. Dass sie den Leser bei aller Betroffenheit unverwundbar macht.

Schorlau: Es ist Mode geworden, jede Grausligkeit zu beschreiben, besonders bei Kolleginnen: Die blutrünstigsten Sachen stehen bei Frauen. Aber es gibt auch Autoren, die Verbrechen nur andeuten. Der Krimi verspricht Spannung, das ist das, was man von guter Literatur erwartet: Katharsis. Das versprechen wir und liefern wir.

Steinfest: Niemand wird behaupten, er liebt Bücher, weil sie langweilig sind; Chesterton sagt, es stimme nicht, dass der Großteil der Bevölkerung Detektivgeschichten deshalb mag, weil sie schlecht geschrieben sind.

Schorlau: Das Höchstmaß an Spannung ist, wenn es um Leben und Tod geht und um die Liebe. Darum geht es in jeder Literatur, aber wir sagen das direkter.

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Die Frage stellte Irene Ferchl