Ausgabe: Mai/Juni 2008 


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Von Südbaden in die Welt

Ein Porträt der Europäerin Sybille Bedford

 

Von Margrit Irgang

 

Ein Sommermorgen Anfang der 1920er Jahre. Auf einer südbadischen Landstraße wandert ein elfjähriges Mädchen zum Bahnhof. Sybille Aleid Elsa Baroness von Schoenebeck verlangt eine Fahrkarte vierter Klasse, versenkt sich im Abteil gelassen in ihr Buch und erreicht ohne Zwischenfälle das Haus der Halbschwester in Wiesbaden. Endlich kein ödes Landleben mehr! Stattdessen Konzerte, Tennispartien, interessante Begegnungen! Aber noch ist es zu früh, diese Welt in Besitz zu nehmen. Die kleine Baroness wird in das heruntergekommene Schloss Feldkirch zurückgebracht.

Vielleicht ist dies eine Schlüsselszene, die ein Lebensmuster zeigt; Sybille Bedford wird immer der Langeweile entfliehen und eine große Reisende werden. Den Fehler aber, keinen Proviant mitzunehmen, wird sie nie wieder begehen: Der Picknickkorb, der sie viele Jahre später auf die Reise nach Mexiko begleiten wird, enthält neben warmem Hühnchen, Salaten und edlen Alkoholika auch eigene Weingläser.

 

Geboren wird sie 1911 in Berlin. Der Vater, Maximilian Baron von Schoenebeck, ist in zweiter Ehe mit einer wohlhabenden Engländerin verheiratet, die als Familienwohnsitz ein Schlösschen in Feldkirch im Breisgau kauft. Als der Erste Weltkrieg beginnt, schließen sie ihr Haus und gehen wieder nach Berlin, zur Familie der verstorbenen ersten Frau des Vaters. Das Leben des jüdischen Berliner Großbürgertums im düsteren Haus in der Voßstraße mit Weihnachtsfesten, die so üppig gefeiert werden wie bei Buddenbrooks, hat Sybille Bedford später oft beschrieben. Nach drei Jahren kehrt die Familie zurück nach Südbaden, aber kurze Zeit später geht die Mutter mit einem Liebhaber auf und davon. Das Geld nimmt sie mit. Über Nacht sind Vater und Tochter arm.

Sie betreiben Tauschhandel: Holz und Äpfel von den Bäumen des Parks gegen Mehl, Milch und Futter für die Tiere. Sie halten Schweine, Enten und Hühner, Mohnkapseln liefern Speiseöl und mangels Pferden werden zwei Esel vor die Kutsche gespannt. Die Nachbarn sind peinlich berührt: Es gibt kein standesgemäßes Schlosspersonal und Baroness Billy läuft in geflickten Kitteln herum.

 

Sybille Bedford ist bereits Mitte siebzig, als sie ihre Autobiografie Zeitschatten (Jigsaw. An Unsentimental Education) schreibt. Mit phänomenaler Genauigkeit erinnert sie sich an das Feldkirch ihrer Kindheit. Die Lektüre der Dorfbevölkerung waren das Lokalblatt und Versandhauskataloge. Junge Mädchen spazierten sonntags über die Felder und sangen, und die einzige Abwechslung waren „die großen Fress- und Sauffeste”. „Was haben sie mit sich angefangen?”, fragt sich die inzwischen kosmopolitische Sybille Bedford fassungslos. Sie selbst lernte währenddessen vom Vater Kochen; mit zehn konnte sie bereits Weine nach Lagen und Gütern unterscheiden. Das machte sie später zu einer der besten Weinkennerinnen Englands, und wenn das Geld mal wieder knapp war, nahm sie einen Job als Köchin an.

 

Sie ist zwölf, als die Mutter sie aus einer Laune heraus nach Italien holt. Ein paar Monate später stirbt der Vater. Schloss Feldkirch wird verkauft. „The point of no return” nannte es Sybille Bedford, aber dann kehrte sie doch noch einmal nach Deutschland zurück, als Berichterstatterin von den Frankfurter Auschwitz-Prozessen.

 

Ihr Gastspiel in der Feldkircher Dorfschule war kurz gewesen und wurde beendet, als sie Läuse bekam. Die Freiburger Ursulinen, zu denen der Vater sie widerwillig geschickt hatte, stellten entsetzt fest, dass das Kind nicht schreiben konnte. Man brachte es ihr bei, verschämt in einer Dachkammer. Keine guten Voraussetzungen für eine angehende Schriftstellerin, sollte man meinen, aber jetzt wird die kleine Sybille in ein Leben geworfen, das bester Romanstoff ist. Mit der kapriziösen Mutter und deren wechselnden Liebhabern zieht sie durch Hotels in Italien und Frankreich und landet an einem Ort, der kurze Zeit später der Sammelpunkt einer künstlerischen und intellektuellen Elite werden wird: Sanary-sur-Mer.

In ihren Romanen Ein Liebling der Götter und Ein trügerischer Sommer hat sie diese Zeit literarisch gestaltet. Sanary ist ein verwunschenes Dorf, das Leben leicht und billig. Künstler und Lebenskünstler stranden hier einen Sommer lang, arbeiten am Vormittag, halten ausgiebig Siesta, schwimmen und feiern Feste, die nächtelang dauern. Bugattis mit offenem Verdeck rollen die einsame Küstenstraße entlang. Diese Romane sind eine Liebeserklärung an den Midi, an sein Licht, seine Düfte, die flirrende Hitze.

 

Glanz und Düsternis liegen im Leben von Sybille Bedford stets nahe beieinander. Schon als Kind hatte sie Anfälle von Melancholie; in den 1960er Jahren wird sie mit schweren Depressionen zu kämpfen haben. In Sanary nun verfällt die Mutter, verlassen von ihrem jungen Lebensgefährten, dem Morphium. Die Tochter fährt die Küste ab auf der Suche nach Apotheken, die bereit sind, die Rezepte eines fragwürdigen Arztes einzulösen. Ideelle und finanzielle Hilfe kommt von Freunden, vor allem von Aldous und Maria Huxley, die sich an der Riviera niedergelassen haben. Hier nimmt ein zweites Lebensthema Gestalt an: Sybille Bedford wird Zeit ihres Lebens von guten Freunden begleitet sein.

Mit fünfzehn wird die Tochter von der Mutter zum Schulbesuch nach England geschickt. Die liebenswert-chaotische Gastfamilie jedoch braucht das Schulgeld für den Lebensunterhalt. Sybille, die ohnehin lieber liest und auf Streifzüge geht, hat Verständnis. Und die Wurzellose, vorerst noch zwischen den Ländern pendelnd, findet in England ihre konkrete und geistige Heimat. Als es gefährlich wird, einen deutschen Pass zu besitzen, arrangiert Maria Huxley eine Scheinheirat mit dem homosexuellen englischen Nachtclubangestellten Terry Bedford; nach der Trauungszeremonie sieht die Ehefrau ihren Mann nie wieder. Sparsame Bemerkungen machen klar: Sie lebt mit Frauen.

 

In den 1930er Jahren treffen die deutschen Exilanten in Sanary ein. Thomas Mann macht sich in Begleitung von Sybille Bedford auf die Suche nach einem angemessen ausgestatteten Haus; ein solches, pflegt Katja Mann zu sagen, „sind wir unserem Weltruhm schuldig”. Die vorgeschlagene Villa findet nicht den Beifall von Frau Mann: In der Küche fehle ein Kartoffelstampfer. Jahre später wird Sybille Bedford Thomas Manns Pudel von Princeton nach Pacific Palisades fahren, weil die Manns bequem mit dem Zug reisen, Hund und Auto aber in Kalifornien haben wollen. Eine Erfahrung, die bei Hund und Fahrerin gemischte Gefühle hinterlässt.

 

Die Kriegsjahre verbringt Sybille Bedford in Nordamerika und fährt 1949 mit einer Freundin im Zug in das touristisch noch unerschlossene Mexiko. Während einer Rast werden sie von Banditen überfallen, später wird ihr Zug im Niemandsland steckenbleiben, weil ein „eisenbahnfeindlicher” Indiostamm die Schwellen aufgerissen hat. Schließlich landen die Frauen auf einer paradiesischen Hazienda. Jahre später schreibt sie ihr Buch Zu Besuch bei Don Otavio – zweifellos eines der schönsten Reisebücher der Nachkriegszeit.

 

Es ist ein Vergnügen, Sybille Bedford zu lesen, die Literatin wie die Journalistin. Beobachtungsgabe und kluge Analyse verbinden sich bei ihr mit sinnlicher Sprache und einem feinen Humor, der die Absurditäten des Lebens mit leiser Nachsicht betrachtet. Bei aller Offenheit im Persönlichen bleibt sie immer diskret, und so haben auch ihre beiden autobiografischen Bücher Zeitschatten und Treibsand den seltenen Vorzug, Menschen in ihren Stärken und Schwächen zu zeigen, ohne sie bloßzustellen. Nach dem Krieg lebte sie in London und schrieb neben Büchern Reiseberichte, Restaurantkritiken und Gerichtsreportagen. Sybille Bedford starb am 17. Februar 2006, kurz vor ihrem 95. Geburtstag.

 

 

Zum Weiterlesen:

 

Ein Vermächtnis. Übersetzt von Reinhard Kaiser. Eichborn Andere Bibliothek / S. Fischer, Frankfurt a. M. 2003 / 2005. 408 Seiten, 75 / 9,95 Euro

Ein Liebling der Götter. Roman. Übersetzt von Sigrid Ruschmeier. Schirmer Graf / Piper, München 2005 / 2007. 384 Seiten, 22,80 / 9 Euro

Ein trügerischer Sommer. Übersetzt von Sigrid Ruschmeier. Schirmer Graf / Piper, München 2006 / 2007. 288 Seiten, 19,80 / 8 Euro

Treibsand. Erinnerungen einer Europäerin. Übersetzt von Matthias Fienbork. Schirmer Graf / Piper, München 2006 / 2008. 320 Seiten, 22,80 / 9 Euro

Zu Besuch bei Don Otavio. Übersetzt von Christian Spiel. Schirmer Graf, München 2007. 384 Seiten, 24,80 Euro

Am liebsten nach Süden Unterwegs in Europa. Übersetzt von Matthias Fienbork. Schirmer Graf, München 2008. 224 Seiten, 17,80 Euro

Zeitschatten. Ein biographischer Roman. Wunderlich / Rowohlt (nur antiquarisch)

 

Margrit Irgang schreibt Romane, Erzählungen, Essays sowie Hörspiele und Features, vor allem für den SWR. Sie lebt in Buchheim bei Freiburg. Zuletzt erschien ihr Essayband Dieser Augenblick (Theseus).

 


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