Ausgabe: März/April 2011 


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„Schauer fuhr durch mein Gebein, als sich der Asberg vor mir aus seinem blauen Schleier enthüllte …“ (Ch. Fr. D. Schubart)

Über die Ausstellung „Hohenasperg – Ein deutsches Gefängnis“

 

Von Alexandra Birkert

 

Dicker Nebel liegt über der Autobahn bei Ludwigsburg, als ich auf dem Weg zum Hohenasperg bin. So dicht ist der Nebel, dass ich beim besten Willen den sprichwörtlich „höchsten Berg Württembergs“ – weil man zwanzig Minuten hinauf braucht, aber manchmal Jahre, um wieder herunterzukommen – mit seiner berühmt-berüchtigten Festung nicht einmal in Umrissen ausmachen kann und prompt im Karussell der Autobahnabfahrt die Orientierung verliere.

Geduld ist auch noch angesagt, als ich die Anlage durch das „Löwentor“ betrete und meine Schritte auf dem steilen Hohlweg notgedrungen langsamer werden, bis ich endlich über eine Brücke den tiefen Wallgraben passieren kann und den einzigen Zugang erreiche: den äußeren Torturm, der mit seinen Pechnasen und Schießscharten unter Herzog Ulrich 1535 beim Ausbau des Hohenaspergs zur Renaissance-Festung errichtet worden ist. Noch einmal gehe ich, jetzt innerhalb der alten Mauern, im Halbkreis um die Anlage herum, nun flankiert von hohen, modernen Gefängniszäunen, die mir den Blick auf das Ganze nehmen, passiere dabei das Turmzimmer-Restaurant „Schubartstube“ samt Biergarten und den berühmten „Schubart-Turm“ und komme schließlich zum ehemaligen Arsenalbau, der seit dem letzten Sommer eine Ausstellung des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg beherbergt. Diese entschädigt vielfach für die Anfahrt und den kurzen Steilaufstieg zu Fuß. Sehenswert, das wissen die Wanderer, ist der fantastische Blick vom oberen Wallweg der Festung in alle Himmelsrichtungen – schon die Kelten wählten den Hügel als Fürstensitz.

 

„Hohenasperg – Ein deutsches Gefängnis“ lautet kurz und bündig der Titel der mittlerweile sechsten dezentralen Dauerausstellung des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg; betrieben wird das Museum von der Stadt Asperg, wo bereits 1996 ein Förderverein Hohenasperg gegründet wurde.

Es ist ein langer und heftig umstrittener Weg bis zur Realisation eines Museums auf dem Hohenasperg gewesen. Viele haben dazu beigetragen, etwa Horst Brandstätter, der engagierte Antiquar, Galerist und Autor, mit seinem 1978 erschienenen Buch Asperg. Ein deutsches Gefängnis. Oder das Aktionsbündnis „Gedenkstätte Hohenasperg“, das so unterschiedliche Partner wie die Naturfreunde und den Verband Deutscher Schriftsteller zusammenführte: Sie forderten, aus der gesamten Festungsanlage eine würdige Kultur- und Gedenkstätte für die freiheitlich-demokratische Bewegung in Württemberg zu machen und deshalb auch das heutige Justizvollzugskrankenhaus zu verlegen. Am 17. Juni 1980 fand, nach einer Sternwanderung, in der Stadthalle Asperg eine viel beachtete Kundgebung statt. Zu den Rednern zählten die Schriftstellerinnen Luise Rinser und Margarete Hannsmann, Lebensgefährtin von HAP Grieshaber, der die Aktion „Gedenkstätte Hohenasperg“ mit einem Originalholzschnitt für das Plakat unterstützte.

Doch eine grundlegende Änderung der Nutzung des Hohenaspergs war damals wie heute nicht durchsetzbar. Immerhin ist nun mit der Schließung der Krankenpflegeschule im ehemaligen Arsenalbau der Weg frei gemacht worden für eine Teillösung.

Und so sind nicht nur die Geschichte des Gefängnisses und die Biografien ausgewählter Häftlinge, sondern auch der historische Ort Hohenasperg und die diversen Museumspläne Gegenstand des umfangreichen Ausstellungskataloges, der zur Wiedereröffnung nach der Winterpause am 31. März erscheinen soll.

Die Dauerausstellung will anhand von zweiundzwanzig Häftlingsbiografien zeigen, „wie sich die Strafe des Freiheitsentzugs, diese extreme Form der Beziehung zwischen Bürger und Staat, über drei Jahrhunderte hinweg entwickelt hat“. Unter den vorgestellten Häftlingen finden sich zum Beispiel der jüdische Hoffaktor Joseph Süß Oppenheimer, der Dichter Christian Friedrich Daniel Schubart, der Nationalökonom Friedrich List, der 1848er-Revolutionär Gottlieb Rau, der französische Kriegsgefangene Charles Braemer, der Kommunist Walter Häbich, der ehemalige württembergische Staatspräsident Eugen Bolz, der NS-Täter Karl Jäger, der Journalist Klaus Mehnert und, als letzter, der RAF-Terrorist Günter Sonnenberg.

 

Dass sich die Ausstellung an einem Ort des früheren wie heutigen Strafvollzugs befindet, macht sie in der Tat eindringlicher. Noch heute sind in den verschiedenen – aus Sicherheitsgründen und gegen neugierige Blicke – abgeriegelten Gebäudekomplexen eine Sozialtherapeutische Anstalt für Langzeitverurteilte (57 Plätze) und das Justizvollzugskrankenhaus (188 Betten) untergebracht, letzteres soll nun in absehbarer Zeit verlegt werden. Die Mansardenfenster der acht Ausstellungsräume sind also nicht nur aus konservatorischen Gründen verhängt – sie wirken damit auch selbst wie verbarrikadiert. Und die Besucher bekommen zumindest eine leise Ahnung davon, wie es ist, von der Außenwelt vollkommen „weggeschlossen“ zu sein. Allerdings, dies ist eine der originellen Ausstellungsideen, kann man durch Fernrohre spähen, die dann jedoch in der Regel nicht den erhofften Ausblick ins Freie, sondern einen Blick auf Pamphlete und Zeitungsartikel eröffnen, also auf die jeweilige zeitgenössische Außenwahrnehmung der vorgeführten Gefangenenschicksale.

 

Ein Verdienst der Ausstellung liegt darin, dass sie die Haftbedingungen der Gefangenen, die immer ein Spiegel der politischen Zustände ihrer Zeit sind, beleuchtet, ebenso den individuellen Umgang der Häftlinge mit ihrer Situation. Darüber hinaus fokussiert sie die andere Seite des Strafvollzuges – die der Staatsmacht − und zwar entlang einer sich durch alle Räume ziehenden schwarzen Stahlwand, in die markante Exponate eingelassen sind. Immer in Korrespondenz zum dargestellten Einzelfall dokumentiert die Ausstellung hier wichtige Veränderungen im Justizsystem und vermittelt damit auf sehr anschauliche Weise die Entwicklung rechtsstaatlicher Prinzipien sowie deren zeitweise Desavouierung.

Die Ausstellungsmacherinnen Franziska Dunkel und Paula Lutum-Lenger monieren zu Recht, dass der Hohenasperg bisher in erster Linie als „politisches Gefängnis“, als „Demokratenbuckel“, wahrgenommen worden ist, auf dem die politischen Gefangenen, insbesondere die des Vormärz und der gescheiterten 1848er-Revolution, kaltgestellt wurden – eine ganz wesentliche, aber einseitige Wahrnehmungsweise, zu der Schriftsteller ebenso wie die erwähnte jahrelange Diskussion durchaus beigetragen haben. Auch Friedrich Schiller hat seinen Anteil an dieser „freiheitlich-demokratischen“ Rezeptionsgeschichte: Er besuchte Schubart im November 1781 auf dem Hohenasperg – detailliert nachzulesen in einem Marbacher Spuren-Heft. Dieser Besuch ist von Schillers Freund und damaligem Begleiter Friedrich Wilhelm von Hoven derart dramatisch beschrieben und mit dessen Räubern in Verbindung gesetzt worden, dass die Szene schnell Eingang in zahlreiche Biografien fand und ein beliebtes Motiv in der Schiller-Ikonografik wurde.

Doch es waren bei weitem nicht nur „Jakobiner“, „Republikaner“, „Demokraten“ oder „Liberale“ dort oben eingesperrt. Tausende von Menschen sind im Laufe der Jahrhunderte auf dem Hohenasperg inhaftiert gewesen, rund 15 000 sollen es zwischen 1800 und 1945 gewesen sein. Menschen verschiedenster Herkunft, festgenommen aus den unterschiedlichsten Gründen: Fürstenwillkür, politische, aber auch rassische Verfolgung, Deportation, Kriegsgefangenschaft, Straftaten wie Diebstahl, Betrug, Körperverletzung, Duell und Mord, oder einfach nur Müßiggang … Die Liste ist lang. So diente der Hohenasperg zwischen 1933 und 1945 als Sammellager für Deportationen und nach dem Zweiten Weltkrieg den Alliierten als Internierungslager.

 

Ein so eindringliches wie augenfälliges Zeugnis für die Zeit, als die Festung vorwiegend als politisches Gefängnis diente, ist die eiserne Zellentür, hinter der der Dichter, Komponist und Journalist Christian Friedrich Daniel Schubart von Herzog Carl Eugen die ersten 377 Tage seiner berühmt gewordenen, insgesamt gut zehnjährigen Haft auf dem Hohenasperg (1777-1787) verbrachte – bis heute sind die genauen Motive des Herzogs für die Gefangennahme Schubarts, der ohne Gerichtsverfahren und Urteil festgehalten wurde, nicht vollständig geklärt. Schubarts Name ist geradezu zum Synonym für den Hohenasperg, für Festungshaft und Fürstenwillkür geworden. Am 3. Februar 1778 ist Schubart dann durch diese Tür aus seinem kalten Felsenloch herausgeholt und in eine Einzelzelle im Arsenalbau gebracht worden, die möglicherweise dort lag, wo heute in der Ausstellung an ihn erinnert wird. Im zweiten Raum vermittelt eine direkt gegenüber der ausgestellten Zellentür an die Wand geworfene Filminstallation eindrucksvoll, ja hautnah die entsetzliche Kälte, Abgeschiedenheit und Dunkelheit in Schubarts Kerker. Durch ein schmales, vergittertes Fenster fallen Schneeflocken, im dunklen, leeren Raum der Gefängniszelle formieren sich prägnante Zitate aus seinen Lebenserinnerungen: „Schauer fuhr durch mein Gebein, als sich der Asberg vor mir aus seinem blauen Schleier enthüllte“ − stockend tauchen die einzelnen Worte auf, während ein zeitgenössischer Stahlstich des Hohenaspergs schemenhaft düster an die Wand projiziert wird. Dann, im Schneegeriesel, baut sich der Satz auf: „Ich tötete NICHTS was sich in meinem Kerker regte. Der leuchtende Wurm, der meine Wand bekroch, war mir nun ein lieber Gesellschafter bei Nacht.“ Auch hier überzeugt das Ausstellungskonzept, das moderne Simulationstechnik dezent, aber gekonnt einsetzt.

 

Es ist erstaunlich, dass Schubart während seiner Kerkerhaft jene berühmten Verse gedichtet und 1782 vertont hat, die durch die Komposition eines anderen, Franz Schubert, weltberühmt geworden sind: „Die Forelle“. In diesem Lied spielt Schubart auf seine eigene heimtückische Verhaftung an. Sparsam und höchst prägnant – dies ist ein Markenzeichen der Ausstellung – präsentiert das Ausstellungsteam die Kontexte. Wer sich „Die Forelle“ gleich vor Ort anhören will, kann dies im hellen Leseraum tun. Hier stehen recherchierfreudigen Besuchern weitere Materialien und eine umfangreiche „Häftlingsdatenbank“ mit verschiedenen Suchkriterien zur Verfügung. Unter der Rubrik „Interessante Einzelfälle“ werden einige „ungewöhnliche Gefangene“ vorgestellt, beispielsweise die wenigen Frauen, die auf dem Hohenasperg inhaftiert waren: bisher weiß man nur von neun. Oder einige junge Männer, die ein Lotterleben führten und auf Veranlassung ihrer Eltern (!) zur Besserung ins Gefängnis gesteckt wurden.

 

Einer, der ebenfalls auf dem Hohenasperg über Monate festsaß und darüber fast zerbrochen wäre, ist der Vater des Dichters Wilhelm Hauff. Durch Justinus Kerner, dessen Sohn Theobald Kerner ebenfalls dort einsaß, ist die Geschichte bekannt geworden, dass die Schwester des Philosophen Hegel – als Magd verkleidet – August Hauff während seiner Haft Essen brachte und dabei im doppelten Boden der Gefäße Kassiber in die Festung schmuggelte. Auch sie ist also den steilen Hohlweg klopfenden Herzens hinaufgelaufen, wohl wissend, dass sie ebenfalls hinter diesen Mauern verschwinden würde, wenn man die Kassiber entdeckte.

 

Die Dauerausstellung „Hohenasperg – Ein deutsches Gefängnis“ ist vom 31. März bis Ende Oktober zu sehen (Infos unter 0711 / 212 39 89 und www.hohenasperg-museum.de).

Der gleichnamige Ausstellungskatalog hat 180 Seiten mit zahlreichen Abbildungen und kostet ca. 18 Euro.

Am 31. März hält die Kuratorin der Ausstellung, Franziska Dunkel, in Asperg einen Vortrag über „Das Gefängnis als Sensation. Der Hohenasperg in der öffentlichen Wahrnehmung“.

 

Zum Weiterlesen:

 

Theodor Bolay, Der Hohenasperg. Vergangenheit und Gegenwart. Peter Krug, Bietigheim 1972. 98 Seiten (antiquarisch)

 

Horst Brandstätter, Asperg. Ein deutsches Gefängnis. Klaus Wagenbach, Berlin 1978. 153 Seiten (antiquarisch)

 

Wolfgang Ranke, Schiller, Schubart und der Hohenasperg. Deutsche Schillergesellschaft, Marbach a. N. 2009 (Spuren 86). 16 Seiten, 4,50 Euro

 

Bernd Jürgen Warneken, Schubart. Der unbürgerliche Bürger. Eichborn, Frankfurt a. M. 2009. 420 Seiten, 32 Euro

 

 

Alexandra Birkert, Jahrgang 1957, lebt und arbeitet als freie Historikerin und promovierte Literaturwissenschaftlerin in Stuttgart. Zuletzt erschien ihr Buch Hegels Schwester. Auf den Spuren einer ungewöhnlichen Frau um 1800. Zurzeit arbeitet sie an einem Essayband, in dem ein Kapitel der Hohenasperger Haftzeit August Hauffs gewidmet ist.


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