Tatsächlich hat die ganze Verlegerei mit Planung und Strategie so viel wie mit Versuch und Irrtum zu tun …

Interview mit Hubert Klöpfer anlässlich seines 60. Geburtstags und des 20-jährigen Verlagsbestehens

 

Man sagt, dass die Schwaben mit vierzig Jahren gescheit werden. Du hast mit vierzig deinen Verlag gegründet – aber du bist Badener. War es gescheit, Klöpfer & Meyer zu gründen, würdest du es wieder tun? Warum und wie bist du Verleger geworden?

 

Oha! Da sprecht Ihr große Fragen gelassen aus. Dass es mich in die Verlegerei verschlug, war jedenfalls nicht gänzlich dumm. Vielleicht kann ich es mit dieser kleinen Geschichte ein bisschen verdeutlichen: Meine Heimatstadt ist Bühl in Baden, bekannt durch Uhu, den Alleskleber, und insbesondere die Bühler Zwetschge, sprich richtig: Bühler Quetsch. In der dritten oder vierten Volksschulklasse gab uns das Fräulein Berta Habermehl nach den Sommerferien einen kleinen Hausaufsatz auf, Titel: „Eine Bühler Zwetschge erzählt aus ihrem Leben.“ Und ich erzählte, was meine Phantasie hergab. Fräulein Habermehl, die mich – wie ich immer noch glaube – nicht richtig leiden mochte, schrieb unter die Arbeit: „Hubert, das ist zwar schön erzählt. Aber nicht von dir!?“ Ausrufezeichen, Fragezeichen. Das war gemein und pädagogisch wertlos, denn der Aufsatz war tatsächlich von mir. Aber, so dämmert’s mir erst jetzt nach fünfzig Jahren „psycho-analytisch“, es war wohl ausgerechnet sie, die Lehrerin, die mich unfreiwillig auf die großartige Idee brachte: „Mensch, Hubert! Man kann, scheint’s, auch andere für sich schreiben lassen!“ Und so bin ich dreißig Jahre später Verleger geworden. War das etwa nicht gescheit? Also würde ich’s wohl auch wieder tun …

 

Wie alles anfing: Vor dem Klöpfer & Meyer Verlag gab es Attempto und einen großen Bucherfolg. Erzählst du uns etwas zur Vorgeschichte?

 

Attempto heißt „Ich wag’s“. Das war der Wahlspruch Graf Eberhards im Barte, der 1477 die Tübinger Universität gegründet hat, und dieses Motto war wiederum der Name des Tübinger Wissenschaftsverlages, den ich für einige Jahre verantwortete.

1989 kam bei Attempto ein nicht ganz ins Programm passendes Buch heraus, Tränen im Regenbogen, eine Anthologie mit Gedichten und Geschichten schwerstkranker Kinder und Jugendlicher der Universitätskinderklinik. Die Startauflage des Buches lag bei „schüchternen“ 2500 Exemplaren – und aus diesem leisen Anfang erwuchs ein wahrlich grandioser Erfolg. Der Titel kam zweimal in die Tagesthemen, bekam lauter große Rezensionen im Spiegel, in der FAZ, in der ZEIT und anderswo, bekam auch den wohldotierten Gustav-Heinemann-Friedenspreis zugesprochen. Schließlich lag die verkaufte Auflage allein bei uns bei 100 000 Exemplaren, nicht viel weniger waren es in der Taschenbuch-Lizenzausgabe bei dtv. Zum Dank für diesen Erfolg bekam ich von den Attempto-Verlagsgesellschaftern die außerordentliche Erlaubnis, „nebenher“ einen eigenen literarischen Verlag zu gründen, zusammen mit Klaus Meyer, dem Typografen: eben die Klöpfer & Meyer GmbH, den Verlag für Belletristik, Sachbuch & Essayistik. Die notarielle Beglaubigung der Gründung fand am 19. Dezember 1991 statt und der akkurat-penible, andrerseits herzlich-menschliche Tübinger Notar Dieterle versprach sich beim Vorlesen der Gründungsurkunde ganz wunderbar, er las in breitestem Schwäbisch „Verlag für Beleschtrik“. Wir konnten das Lachen nicht verheben, aber am meisten lachte Rolf Dieterle selber drüber …

 

Anfangs gab es Sachbücher, auch ein Kinderbuch. Wie kam es dazu, das Profil zu schärfen?

 

Das erste Buch von Klöpfer & Meyer war, in der Tat, ein Kinderbuch: Vera, Nikolaus und das Feuer, mit wunderbaren Aquarellen des DDR-flüchtigen Künstlers André Aurich, in die ich mich auf der Stelle verliebte, als sie mir der Autor und Hamburger Theatermann Ulrich Waller Blatt für Blatt vorführte. 50 000 DM betrug unser GmbH-Stammkapital und dieses wunderbare Buch verschlang in der Produktion schier schon 40 000 DM. Also rechneten wir uns aus, dass wir immerhin 3300 Exemplare verkaufen müssten, um zumindest die Herstellkosten wieder einzuspielen. Und genau so ist es gekommen: wir haben 3500 Exemplare gedruckt und 3300 verkauft. Wieviel 3500 Exemplare realiter sind, das haben wir körperlich erst erfasst, als bei uns eines Tages ein großer Laster vorfuhr – und wir die dreieinhalb Paletten zu zweit per Hand abzuladen und ins Lager zu tragen hatten. Mit diesem Buch, so muss ich sagen, hatten wir einfach mehr Glück als Verstand. Andrerseits gilt auch: Es war unsere Vera, dieser in einen Feuerschlucker verliebte weibliche Drache, den wir da in unserem Kinder- und Elternbuch aufleben ließen, eine Sünde wider alle buchhändlerische Vernunft. Aber sie hat uns nicht wirklich geschadet. Manche Sünden, scheint’s, werden einem himmlisch als „lässlich“ verziehen – und wir haben daraus gelernt und blieben künftig streng bei dem, was wir „eigentlich“ verlegen wollten.

 

Du bist einer der begeisterungsfähigsten Menschen, die wir kennen – nicht nur unter den Verlegern. Kannst du deine Gefühle beschreiben, wenn du ein Manuskript liest? Was löst bei dir Begeisterung oder sogar Euphorie aus?

 

Schön, dass Ihr das so seht mit meiner „Begeisterungsfähigkeit“, und schöner noch, dass Ihr nicht von „Besessenheit“ sprecht. Tatsächlich, neben aller objektiven Last ist die Verlegerei für mich auch eine große subjektive Lust, die pure Freude am Entdecken oder – ein bisschen hab ich noch bei ihm gehört, studiert – die Blochsche Freude am Vorscheinenden, Kommenden, am Entdecken dessen, was noch nicht ist, was aber kommen möchte, was einem wichtig wird. Und das ist das eigentlich Beglückende im Verlegerleben: das „Zusammenschaffen“ mit lauter schöpferischen, eigen-sinnigen Menschen. Beim ersten Manuskript-Lesen zu spüren, da entfaltet sich jemand, da findet jemand seinen ganz eigenen Ton, sein ureigenes Sujet, ja, solche Momente machen mich richtiggehend froh.

 

Was macht deiner Meinung nach einen guten Verleger heute aus?

 

Ein guter Verleger muss, meine ich, gleichermaßen gelassen wie leidenschaftlich sein, er muss Stehvermögen, Überzeugungen und Unterscheidungsvermögen haben, Neugierde braucht er, Phantasie, Vorstellungskraft. Und hinreichend viel Angst, Sorge, Zweifel braucht er, um nämlich in diesem wahren „Haifischbecken Literaturbetrieb“ überhaupt so etwas wie Kraft, Mut, Zähigkeit zu entwickeln. Ganz gewiss: ein guter Verleger, glaub ich, braucht ein gehöriges Maß „Prinzip Hoffnung“.

 

Was war dein größter Erfolg als Verleger – wirtschaftlich und literarisch?

 

Mein größter persönlicher Erfolg als Verleger war, in der allergrößten Krise nicht aufgegeben zu haben, durchgehalten zu haben in einem Moment, in dem mir durchaus nach Aufhören zumute war. Meine Familie, meine Freunde und ein bisschen auch Hölderlin haben geholfen: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Und genau das ist mir widerfahren, in meiner größten persönlichen und verlegerisch-wirtschaftlichen Krise ist mir das Rettende „irgendwie“ zugekommen. Zufall? Nein. Fügung. Womöglich das, was die Theologie altmodisch und kaum noch verstanden „Gnade“ nennt.

Mein größter wirtschaftlicher Erfolg? Manfred Zachs auch literarisch großer Politroman Monrepos oder Die Kälte der Macht, bislang in neun Auflagen bei uns und alles in allem, mitsamt der Rowohlt-Taschenbuchausgaben, in mehr als 100 000 Exemplaren erschienen.

Und „literarisch stolz“ bin ich darauf, dass Klöpfer & Meyer noch immer „irgendwie“ eine so buchmarktschwierige Gattung wie die Lyrik halten kann.

 

Hast du jemals ein Manuskript abgelehnt, das später zu einem Erfolgsbuch geworden ist?

 

Nein, wirklich, das ist mir bislang so noch nicht passiert. Aber ein Manuskript, eine Idee, die ich gewissermaßen auf dem Schreibtisch hatte und mit großer Freude realisiert hätte, aber nicht ansatzweise finanzieren konnte, waren Ulla Steuernagels und Uli Janssens berühmte Bände der „Tübinger Kinderuniversität“, die bei der DVA dann zum ganz großen Erfolg reüssierten. Aber jetzt, in diesem Herbst, haben wir Ulla Steuernagel doch noch: Mach das! Lass das! Erziehung für kleine und große Anfänger, ein schönes Bändchen wider die Disziplinierungswut genervter Eltern, voller Überraschungen, mit viel Esprit geschrieben.

 

„Die Zerstreuung eines Buches durch die Welt ist fast ein ebenso schwieriges und wichtiges Werk als die Verfertigung desselben“, sagte Schiller zu Cotta im Jahr 1802. Das war klug und weitsichtig, denn der Vertrieb und das Marketing sind mindestens ebenso wichtig wie Schreiben und Publizieren. Wie schaffst du es, deine vielen Bücher unter die Leserinnen und Leser zu bringen?

 

Ja, das stimmt, da irrt der Dichter nicht, der Schillersatz gilt, wie 1802 so 2011. Heute gar fast schärfer noch: Die Distribution der Bücher ins unbestimmte, so schwer fassliche Publikum ist das Verlegerproblem schlechthin. Und das hat im Alter von grade fünf Jahren schon Amelie, unsere Jüngste, erkannt: „Papa, wo verlegst du denn deine vielen Bücher immer hin?“ Und ich, einigermaßen kleinlaut: „Ach, Amelie, wenn ich das nur selber wüsste.“ Tatsächlich hat die ganze Verlegerei mit Planung und Strategie so viel wie mit Versuch und Irrtum zu tun …

 

Wie kann sich ein kleinerer Verlag auf dem Markt heutzutage behaupten? Wie hast du es als Unternehmer respektive Kaufmann immer wieder geschafft?

 

Hab ich’s denn geschafft? Und wer spricht von Siegen? Ja, Behaupten, Durchkommen, Standhalten ist alles. Jedes Jahr um Weihnachten freu ich mich aufs Neue, „es“ ein weiteres Mal „irgendwie“ geschafft zu haben. „Ich zweifle, also bin ich“ – und bei aller drängenden Sorge, allem oft bohrenden Zweifel: Vielleicht bin ich über die Langstrecke doch noch eine Art unverbesserlicher Optimist geworden.

 

„Die Zukunft war früher auch besser“, sagte Karl Valentin einmal, aber es war tatsächlich nie leicht, als anspruchsvoller Verlag zu überleben. Und es sieht so aus, als würde es in unserem Jahrhundert noch schwerer. Wie siehst du die Zukunft der Literatur, wird sie sich auf dem Markt behaupten können?

 

Nein, um die Literatur als „Lebensmittel“ fürchte ich nicht, denn wir Menschen leben doch nicht allein von Brot und Wein, sondern – und gar nicht zuletzt – von der Idee, vom Logos, vom Wort. Ob aber das gedruckte Buch, so wie wir’s kennen, gegen das E-Book, gegen das Kindle und wie die noch kommenden Gespenster alle heißen, überlebt? Ich will es einfach schwer hoffen! Denn wenn wir doch alle länger leben sollen können, so könnten wir doch auch länger lesen wollen? Darauf setze ich. Und so lange ich selber Bücher verlege, so lange sollen das ästhetisch und handwerklich gut gemachte Bücher sein.

 

Verleger zu sein ist ein Beruf – oder eine Berufung –, die den ganzen Menschen braucht, eines unglaublichen persönlichen Engagements bedarf. Hattest du in den zwei Jahrzehnten noch Zeit für deine Familie? Für anderes als das Büchermachen?

 

Jetzt erwischt Ihr mich wahrlich an einem meiner richtig wunden Punkte. Und damit kokettier’ ich nicht: Meine Frau, meine Familie, meine Töchter und eigentlich recht besehen auch ich als Vater und Freund kamen immer zu kurz. Das bedauere ich durchaus, da bin ich nicht gut zu mir. Dagegen ist der unerfüllte Wunsch, dass ich gerne mehr für mich selber lesen würde, gerne mehr ins Kino oder Theater, gerne mehr in Konzerte ginge, auch gerne mehr verreisen würde, gerne auch den Segelschein gemacht hätte oder ein Instrument gelernt, eher nebensächlich, einigermaßen leicht verschmerzlich. „Die wahren Abenteuer“, so tröste ich mich ein bißchen mit Andre Heller, „sind im Kopf, und sind sie nicht im Kopf, so sind sie nirgendwo“. Aber im Hinterkopf ist da doch der herb-schmerzliche Gedanke Mascha Kalékos: „,Morgen’, sage ich, ,morgen!’ / ,übermorgen!’ sogar. // Bald ist das Leben vorüber, / ohne daß ,morgen’ je war.“

 

Klöpfer & Meyer ist heute der literarische Verlag Nummer eins in Baden-Württemberg. Hast du dir dieses Ziel vorgenommen oder auch nur vorgestellt?

 

Ihr beide seht Klöpfer & Meyer wirklich als Nummer eins im Land? Kürzlich sagte mir jemand Renommiertes, der es ähnlich gut mit uns meint: Klöpfer & Meyer sei ein bisschen wie badisch Hanser und ein bisschen wie schwäbisch Suhrkamp, und wenn er denn noch jung und ungebunden wäre, dann würde er gerne bei K & M erscheinen. Natürlich tut so was gut und schmeichelt aufs Erste. Aber es gilt: „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Denn selber fühle ich mich mehr so wie der schwankende SC Freiburg, der einen beherzt schönen (anarchischen? freigeistigen? naiven?) Fußball spielt, der viele Tore schießt, der viele Tore bekommt – und also drum Jahr für Jahr ums Überleben spielt. Und aber überhaupt: Wunderhorn in Heidelberg zum Beispiel ist ein nicht minder guter Literaturverlag. Und ich habe einen großen Respekt vor dem ambitionierten Drey-Verlag in Gutach im Schwarzwald. Wir kleineren und kleinen Verlage, das meine ich so, müssen zusammenhalten …

 

Hast du einen Wunsch für die Zukunft, deine und die des Verlags?

 

Ach, der Wünsche sind einige, und es wäre ja schlimm, wir hätten in aller Selbstzufriedenheit keine Träume und Wünsche mehr! Seit Jahren wünsche ich mir eine Art Gelassenheitsmaschine, ein Loslassgerät, irgend so einen Apparat jedenfalls, der mir in unserer vermaledeiten Zeitlosigkeit hilft, zwischen wichtig und unwichtig, zwischen „Zeit haben“ und „keine Zeit haben“ zu unterscheiden und zu gewichten: nütze, pflücke den Tag, carpe diem. Und schön wär’s, wenn mein Verlag aufrecht und gesund einmal so alt würde wie ich’s selber jetzt bin. Und schön wär’s auch, wenn die gute Buchhändler-, Kritiker- und Leserschaft Klöpfer & Meyer gewogen bliebe. Ad multos annos, ad multos libros: „Bücher fürs Denken und Lesen ohne Geländer“.

 

Das wünschen wir dir und dem Verlag zum Doppeljubiläum!

 

Dieter Durchdewald und Irene Ferchl, die die Fragen stellten.

 

www.kloepfer-meyer.de