Ausgabe: Juli/August 2012


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Gottlob Heinrich Rapp

Ein Muster bürgerlichen Engagements?

Von Sabine Fischer

 

„Nur wünschte ich drey Köpfe zu haben – einen für den K[öniglichen] Dienst, den andern für meinen Beruf − u[nd] den dritten für Kunst u[nd] Wissenschaft.“

Rapp an Cotta in einem Brief vom 29.1.1809

 

Gottlob Heinrich Rapp (1761–1832), der sich mit Anfang Fünfzig von seinem alten Freund, dem Hofmaler Philipp Hetsch, im repräsentativen Kniestück verewigen ließ, war einer der bedeutendsten Vertreter des Wirtschafts-, Kunst- und Kulturlebens in der Residenzstadt Stuttgart um die Wende zum 19. Jahrhundert. Als Geschäftsmann äußerst erfolgreich, mit zahlreichen höfischen Ämtern, schließlich sogar der Direktion der Königlichen Hofbank betraut, gehörte der Tuchhändler zu denjenigen, die den Wandel von der Stände- zur Bürgergesellschaft maßgeblich zu beeinflussen und zu gestalten suchten. Vom Brotberuf dieses mit schlichter Eleganz gekleideten Mannes, der augenscheinlich hoch gewachsen war und auffallend feine Hände besaß, verrät Hetschs Porträtgemälde allerdings nichts. Ebenso wenig findet sich ein Hinweis auf Rapps steile Karriere im Dienste des württembergischen Hofes. Als selbstbewusster Bürger sitzt er vielmehr auf einem harten Holzstuhl, scheinbar absichtslos vor einer sich unter hohem Himmel in der Ferne verlierenden Flusslandschaft, und wendet sich seinem Betrachter freundlich lächelnd zu.

Tatsächlich spielte für Rapp, der als Kaufmannssohn davon geträumt hatte, Maler zu werden, die Landschaft zeitlebens eine zentrale Rolle. Als Thema dominiert sie nicht nur die eigenen künstlerischen Versuche. Sie bestimmt auch seine kunsttheoretischen Schriften, in denen Rapp für eine Aufwertung der Landschaftsmalerei als gleichwertiger Gattung neben der traditionell ranghöheren Historienmalerei plädierte und sich für die Gartenkunst als eigenständige Kunstform einsetzte.

Dieser Seite Gottlob Heinrich Rapps, seinem jahrzehntelangen, unermüdlichen –dabei die Vorteile für Handel und Gewerbe nie aus den Augen verlierenden – Einsatz für Kunst und Künstler in Stuttgart, widmet sich die fast genau zum 250. Geburtstag erschienene monografische Studie der Berliner Kunsthistorikerin und Germanistin Anna Pfäfflin.

Ihr Werk über Goethes „wohl unterrichteten Kunstfreund“ ist ebenso umfang- wie aufschlussreich und bis in die Anmerkungen hinein von stupender Detailkenntnis getragen. Die Lektüre macht offenkundig, dass sich hinter Rapps rastlosem Einsatz für die bildende Kunst auch eine große kompensatorische Leistung verbirgt – schließlich hielt Rapp Künstler für die glücklichsten Menschen überhaupt. Doch das nur nebenbei. Als Kind seiner aufgeklärten Zeit war Rapp vom Glauben an die Wirksamkeit von Kunst im Sinne der Erziehung des Menschen zu einem höheren, besseren Wesen durchdrungen. Die Unterstützung und Förderung der heimischen Kunstwelt, insbesondere in der Funktion des Vermittlers zwischen Künstlern und Rezipienten, wurde ihm deshalb zur Lebensaufgabe, die er, bei keineswegs robuster Natur, mit einer heute kaum mehr vorstellbaren Vielseitigkeit und Einsatzbereitschaft zu erfüllen trachtete. Mit Johann Friedrich Cotta, dem Verleger der deutschen Klassik, gründete er das Morgenblatt für gebildete Stände, für das er als Kunstberichterstatter und Kunstkritiker zahlreiche, zum Teil von ihm selbst illustrierte Beiträge verfasste. Ebenfalls zusammen mit Cotta gründete er druckgrafische Betriebe für die Produktion preiswerter Kunstreproduktionen, und er verfasste die erste praktische Einführung in die Technik des Steindrucks. Rapp stimulierte den künstlerischen Wettbewerb und setzte sich ebenso ausdauernd wie schließlich erfolgreich für die Gründung von Kunstverein und Kunstschule ein.

Was die biografischen Eckdaten und die Rahmenbedingungen des Rappschen Wirkens anbelangt, kann sich die Autorin auf ältere Publikationen stützen. Die eigentliche Leistung ihrer Arbeit, die vielfach bisher unbekanntes Quellenmaterial auswertet, liegt in der Darstellung von Rapps Kunstbegriff und in der Rekonstruktion seines daraus resultierenden Bildungsmodells, das Anna Pfäfflin unter die Begriffe Erproben, Lernen und Studieren sowie Vermitteln subsumiert. Eingebettet in das zeitgenössische Kunstgeschehen mit seiner Fülle an kunsttheoretischen Diskussionen, wird Rapps Handeln und Denken vorgestellt und im jeweiligen Beziehungsgeflecht analysiert, so vor allem Rapps Einschätzung der Landschaftsmalerei oder der Gartenkunst. Als Rapps originären Beitrag zur kunsttheoretischen Debatte seiner Zeit − und zugleich eng mit seinem dreistufigen Bildungsmodell verwoben − stellt Anna Pfäfflin die Aufwertung des Rezipienten heraus. Rapp sah den Betrachter als gleichwertigen Partner des Künstlers, da dessen Schöpfung erst durch die aktive Teilhabe eines Gegenübers zum vollständigen Kunstwerk werde – unter der entscheidenden Voraussetzung, dass es sich dabei um einen geschulten Betrachter handelt, dessen Urteil sich auf praktische Erfahrung sowie auf ein durch vergleichendes Sehen geübtes Auge und ein fundiertes theoretisches Wissen gründet. Bedingung eines solchen Dialogs auf Augenhöhe sei dabei kennerschaftliche Kompetenz auf beiden Seiten, so dass letztlich den Künstler von seinem Publikum allein das künstlerische Talent unterscheide. Um sowohl die Kunstschaffenden wie auch ihr Publikum zu Kunstkennern (und damit letztlich zu Kunstkäufern) zu bilden, war nun allerdings die Vermittlung entsprechender Kenntnisse gefragt − wer wohl hätte diese vermittelnde Funktion in Stuttgart besser ausgefüllt als Gottlob Heinrich Rapp?

Mit ihrer Monografie ist Anna Pfäfflin eine facettenreiche Fallstudie gelungen. Schon deshalb wüsste man gerne mehr über das untergründig wirksame wirtschafts- und finanzpolitische Netz dieses Kaufmanns, das dessen starke Einflussnahme auf das Stuttgarter Kunstleben doch wesentlich mitbedingt haben muss – auch wenn oder gerade weil er sich dem politischen Tagesgeschehen offensichtlich konsequent entzog. Zweifellos hat der weit in die schwäbische Ehrbarkeit hinein verzweigte Familienverband das Seinige dazu beigetragen. Über Jahrzehnte eine derart beherrschende Stellung einzunehmen wird dem als gütig, ausgleichend und zartfühlend charakterisierten Menschenfreund gleichwohl nur gelungen sein, weil er auch auf seinen Vorteil bedacht, ehrgeizig und erfolgsorientiert gewesen ist − bei der Verwirklichung seiner unternehmerischen Ziele, bei dem Verfolgen seiner höfischen Karriere wie bei der Umsetzung seines Bildungsmodells. Sein Schwiegersohn Sulpice Boisserée soll Eitelkeit und Eigensinn, in Teilen gar Anmaßung beklagt haben.

Die Neugier des Lesers wird aber noch in anderer Hinsicht geweckt. Auf Stuttgart bezogen: Wer publizierte neben dem eifrigen Kunstjournalisten noch und worüber und mit welchem Erfolg im Morgenblatt? Wie reagierten die Stuttgarter Künstler, die sich nicht, wie der Schwager Johann Heinrich Dannecker, Rapps kräftiger Patronage erfreuen konnten? Ganz bestimmt war Luise Duttenhofer nicht die einzige, die dessen Einsatz für Danneckers Werke süffisant kommentierte. Und über Stuttgart hinaus: War Rapp eine Einzelerscheinung in seiner Zeit oder lässt sich sein Wirken etwa mit dem Weimarer Unternehmer und Verleger Friedrich Justin Bertuch vergleichen?

Kennern der Stuttgarter Kunstwelt und jenen, die es werden wollen, seien die über 650 Seiten mit ihrem in vieler Hinsicht hilfreichen Anhang wärmstens empfohlen. Selbst wenn der Rappsche rote Faden mitunter verloren zu gehen droht zwischen Hohenheimer Gartenanlage und bürgerlicher Geselligkeit, zwischen der Sammlung Boisserée, der beginnenden Historisierung im Ausstellungswesen oder der Entstehung des bürgerlichen Kunstmarkts: In ihrer Gesamtheit ergeben diese und andere Einzelaspekte ein ungemein anregendes und informatives Panorama. Es enthält viel Neues über den Kunstvermittler Gottlob Heinrich Rapp, der einen wesentlichen Beitrag leistete für die Entwicklung seiner Heimatstadt auf der Schwelle ins bürgerliche 19. Jahrhundert.

 

Zum Weiterlesen:

Anna Marie Pfäfflin, Gottlob Heinrich Rapp. Goethes „wohl unterrichteter Kunstfreund“ in Stuttgart 1761–1832. Hohenheim Verlag, Stuttgart 2012. 658 Seiten, 28 Euro

 

Sabine Fischer studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Germanistik in Freiburg und Wien. Nach ihrer Promotion arbeitete sie in der Phillips Collection in Washington sowie in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden. Seit 1993 ist sie Mitarbeiterin im Deutschen Literaturarchiv Marbach, mit Publikationen zum Porträt der Schillerzeit und des 20. Jahrhunderts.

2012_04_Rapp.pdf

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