Literatur im Museum

„Fremde auf dem Pfad der Nachdenklichkeit"
Einladung zu einem Besuch im Mühlenweg-Museum Allensbach

Von Irene Ferchl

Der Ort hätte kaum besser gewählt sein können. Nicht nur, weil Touristen gern an den Bodensee und auf dem Weg nach Konstanz oder zur Reichenau durch Allensbach kommen; und nicht nur, weil sie auf der Suche nach Informationen im Kultur- & Verkehrsbüro landen und sich dann leicht in den oberen Räumen des Bahnhofsgebäudes wiederfinden, wo seit Juni 2012 das Mühlenweg-Museum besteht. Sondern weil Fritz Mühlenweg, der seit jeher eine große Affinität zu Eisenbahnen besaß, in den 1950er Jahren von eben diesem kleinen Bahnhof zu seinem Lesereisen aufbrach – zu einer Zeit, als erst wenige Verlage ihre Autoren auf Tour schickten.

Ältere Leserinnen und Leser erinnern sich vielleicht noch an die Lektüre eines Abenteuerbuches, das unter verschiedenen Titeln bei Herder erschienen war: in zwei Bänden als Großer-Tiger und Kompaß-Berg und Null Uhr fünf in Urumtschi oder einbändig unter In geheimer Mission durch die Wüste Gobi mit einem Geleitwort von Sven Hedin. Dessen Neuauflage im Libelle Verlag, als Leinenband mit 780 Seiten, markierte den Beginn einer breiten Wiederentdeckung des Schriftstellers Fritz Mühlenweg, denn in den Jahren zuvor waren seine Erzählungen aus der Mongolei nur als stark gekürzte Jugendbücher erhältlich gewesen. Genau bis 1992, als Ekkehard Faude zuerst den Band Fremde auf dem Pfad der Nachdenklichkeit wieder- und die Erzählungen Kleine mongolische Heimlichkeiten erstmals veröffentlichte, seither haben die Fans sich über eine Reihe weiterer Publikationen freuen können.

Den vorläufigen Höhepunkt bildet die erste Kuratoren-Arbeit des Konstanzer, seit längerem allerdings auf der Schweizer Bodensee-Seite wirkenden Verlegers: die Konzeption des Allensbacher Mühlenweg-Museums.

Zu Faudes Wissen und Visionen addierten sich einige glückliche Umstände: die Begeisterungsfähigkeit Sabine Schürnbrands vom Kultur- und Touristikbüro, die auch den Bürgermeister zu überzeugen vermochte, die Kooperationsbereitschaft der Erben, die Unterstützung durch Thomas Schmidt von der Arbeitsstelle für literarische Museen und Gedenkstätten in Marbach und nicht zuletzt, dass statt zweier schließlich sechs Räume zur Verfügung standen – es wird kolportiert, dass Faudes erstes Konzept fast einen Louvre hätte füllen können. Wer seine informativen Nachworte in den Büchern, die Biografie über oder seinen Blog zu Mühlenweg liest, bekommt eine Ahnung davon, wie viel für diese Ausstellung gestrichen werden musste. Zu ihrem Vorteil allerdings.

Man betritt ein lichtes Treppenhaus und wird von Zitaten aus dem I-Ging, dem Buch der Wandlungen, empfangen. Die erhellenden Sätze der akustischen Installation bilden ein passendes Entree: Die Räume, in die man vom Flur aus blickt, wirken aufgeräumt und übersichtlich, uneingestanden scheint jeder Besucher darüber erleichtert zu sein – verbringt dann allerdings doch viel mehr Zeit als geplant darin, einfach weil es immer noch etwas Neues zu entdecken gibt, weil Schubladen oder Nischen, Bildschirme und Bücher die erste offensichtliche Informationsebene vertiefen; für die durchdachte Gestaltung zeichnet Claudia Gnädinger verantwortlich.

Waren Literaturausstellungen früher meist überladene Textwüsten, deren Durchqueren nicht wenig Mühe bedeutete, sind sie heute eher darauf bedacht, einen nicht zu erschrecken, sondern vorsichtig an der Hand zu nehmen und dabei das Gefühl spannenden Erlebens zu vermitteln

Im Fall Fritz Mühlenweg konnte der Protagonist selbst viel dazu beitragen: wahrhaft abenteuerliche Lebens- und Werkgeschichten und die Stimmung heiterer Gelassenheit – „In der Eile sind Fehler“ –, die er aus der Mongolei mitbrachte und die als neudeutsche „Entschleunigung“ in Allensbach den genius loci zu prägen scheint. Vielleicht hat es auch mit der Nähe zum Bodensee zu tun.

Den ersten Raum „Seitenblicke“ hebt man sich am besten für den Schluss des Rundgangs auf und widmet sich zunächst der Herkunft. Das ist Familiengeschichte, zugleich eine erstaunlich interessante Darstellung des Drogistenberufs mit seinem breiten Wissen von Farben bis Drogen. Diese beiden Begriffe rahmen den Namen von Mühlenwegs Großvater Richard Kornbeck in der Inschrift über dessen Ladengeschäft in der Konstanzer Kanzleistraße. Dort sollte der junge Fritz, der, obwohl Klassenbester, mit 15 Jahren von der Oberrealschule abgegangen, einmal arbeiten.

1917 wird er zum Militär eingezogen, wenige Monate, nachdem sein älterer Bruder in Westflandern gefallen ist. Ihm gelingt die Flucht aus der Kriegsgefangenschaft, auch wegen seiner sportlichen Leistungsfähigkeit. Trotz mehrjähriger Berufspraxis und ausgezeichneter kaufmännischer Zeugnisse möchte er die elterliche Drogerie dann doch nicht übernehmen. Ihn lockt die Ferne, das „große Unnennbare“ draußen, er bewirbt sich bei der neu gegründeten Luft Hansa, die angeblich die geplante Zentralasien-Expedition von Sven Hedin sponsert: Es geht um die klimatischen Bedingungen für eine Fluglinie Berlin-Peking. Von Februar 1927 bis Juni 1928 begleitet Mühlenweg diese „geheime Mission durch die Wüste Gobi“, mit 40 Tonnen Ausrüstung auf 300 Kamelen und elf Wissenschaftlern „eine Art reisender Universität“.

Als offizieller Buchhalter muss er den Überblick wahren, aber er ist zudem ein umsichtiger Beobachter und interessiert sich für die begleitenden Mongolen und Chinesen, für Kultur und Sprache, legt etwa ein mongolisch-deutsches Wörterbuch an. Alles, was er sieht und erlebt, gerinnt später zum Erzählstoff, mischt sich mit den Erfahrungen seiner beiden weiteren Reisen 1929 und 1930 in seinen lesenwerten Büchern, die nicht zuletzt durch seine gelebte Empathie beeindrucken.

Mühlenweg wurde in diesen Jahren gewissermaßen von einem „mongolischen Virus“ gepackt, gab deswegen andere Pläne zur Auswanderung nach Südwestafrika und Neuseeland auf und entschloss sich nach der Rückkehr zu einer Künstlerexistenz, um seiner inzwischen entdeckten Leidenschaft für die Malerei zu leben. An der Wiener Akademie lernte er die Kunststudentin Elisabeth Kopriwa kennen, sie heirateten 1933 und siedelten sich nach der Geburt der ersten Tochter in Allensbach an, sechs weitere Kinder folgten.

In den weiteren Räumen der Ausstellung werden die nächsten Jahrzehnte dokumentiert: das Malen und Schreiben des Ehepaars, die Lesereisen und Auszeichnungen, die Bekanntschaft mit Zeitgenossen, die zu Freunden werden wie Otto Dix und Hans Dulk, Mühlenwegs erster Verleger für seine Nachdichtungen aus dem chinesischen Shijing (Tausendjähriger Bambus), dazu die verwickelte Rezeptionsgeschichte.

Am Ende des Ausstellungsbesuchs hat man viele Abenteuer erlebt, einen Eindruck von Mühlenwegs Werk und seiner Weltsicht gewonnen (die untergründig vom Erlebnis der Wüste bestimmt blieb), hat von der Weisheit des östlichen Denkens erfahren, kurz: ist in den faszinierenden Kosmos Mühlenweg eingetaucht und deckt sich zu guter Letzt mit Glückskeksen, Notizbuch, Zitatpostkarten und natürlich den Büchern ein, um lesend noch weiter vom Bodensee in die Mongolei und zurück zu reisen.

 

 

MMA – Mühlenweg-Museum Allensbach. Im Bahnhof.

Telefon 07533 / 801 35

www.allensbach.de/MühlenwegMuseum

Öffnungszeiten

1. Juni bis 1. September: Mo-Fr 10-17 Uhr, Sa 10-12.30 Uhr

1. Oktober bis 31. Mai: Mo-Fr 9-12 und 14-17 Uhr

 

Zum Weiterlesen und Hören:

Mongolische Heimlichkeiten. Erzählungen aus der Wüste Gobi. Gelesen von Patrick Blank, Musik von Bernd Konrad. CD Kultur- und Verkehrsbüro Allensbach 2012. 15 Euro

Ekkehard Faude, Fritz Mühlenweg – Vom Bodensee in die Mongolei. Eine biographische Annäherung an den Drogisten, Asien-Reisenden, Maler und Autor. 2005. 208 Seiten mit 70 Abb., 17,50 Euro

Ekkehard Faude / Barbara Stark, Fritz Mühlenweg – Malerei. Mit Texten über den Drogisten, Mongolei-Reisenden, Maler und Schriftsteller. 1999. 192 Seiten mit Farbtafeln und Abb., 49,90 Euro

Außerdem sind auch alle Romane und Erzählungen von Fritz Mühlenweg: Drei Mal Mongolei, In geheimer Mission durch die Wüste Gobi, Fremde auf dem Pfad der Nachdenklichkeit, Mongolische Heimlichkeiten, NUNI, Tausendjähriger Bambus, Der Christbaum von Hami im Libelle Verlag, Lengwil, erschienen und lieferbar.

www.libelle.ch

Blog zu Mühlenweg: http://libelle.ch/apps/wordpress/?p=250

 

 

2013_03_Muehlenweg.pdf

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