Ausgabe: Juli/August 2014


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Zeitenwende am See – Neue Bücher zum 600-jährigen Jubiläum des Konstanzer Konzils

Von Wolfgang Alber

Der Krisengipfel sollte die lang anhaltende Kirchenspaltung in einem zudem weltlich zerstrittenen Europa beenden: 1414 begann das Konstanzer Konzil, ihm ist die bis 21. September zu sehende Landesausstellung des Badischen Landesmuseums Karlsruhe „Weltereignis des Mittelalters“ am  Originalschauplatz gewidmet. Im Jubiläumsjahr gibt es eine Reihe von Neuerscheinungen, die nicht nur die Aufhebung des Schismas und die Ausgrenzung von Häretikern, sondern die vier Konzilsjahre zugleich als spätmittelalterliche Zeitenwende beschreiben.
Das erste Konzil nördlich der Alpen war nicht wirklich erfolgreich – letztlich wurde der Kirche eine Reform verpasst und die Reformation eingeläutet –, dennoch schreibt ihm der US-Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt einen entscheidenden Modernisierungsschub hin zur Renaissance zu. Dieser über Ereignishistorie hinausgehende strukturgeschichtliche Ansatz findet sich in einigen der Publikationen. Zudem wird die Stadt am Bodensee als Ort der Völkervielfalt und Mehrsprachigkeit, der Schreibkultur und Literatur dargestellt.

Zu nennen sind zunächst der Begleitband Das Konstanzer Konzil. 1414-1418. Weltereignis des Mittelalters mit Essays zur Ausstellung. Zwei Dutzend Autorinnen und Autoren stellen nicht nur Organisation und Ablauf, Protagonisten und Teilnehmer, Gegenstände und Beschlüsse des Konzils vor, sondern geben auch einen kunstgeschichtlichen Einblick, etwa zur spätmittelalterlichen Buch- und Tafelmalerei im Bodenseeraum. Gewürdigt wird natürlich der Konstanzer Schreiber Ulrich Richental, dem wir ein facettenreiches Bild des Konzils verdanken; Richental war rasender Reporter und akribischer Chronist zugleich.
Während des Konzils waren Hunderte von Schreibern und Sekretären anwesend, die immense Mengen des gerade erfundenen Papiers füllten, und es reisten neben Gelehrten zahlreicher Universitäten in päpstlichen Diensten stehende Humanisten wie Poggio Bracciolini oder Leonardo Bruni an, die sich in den Bibliotheken umliegender Klöster auf die Suche nach Handschriften machten. Sie spürten unbekannte, vergessene, weggeschlossene Texte wie Ciceros Reden, Quintilians Unterweisung in Rhetorik oder Vitruvs Architekturlehrbuch auf. Und vor allem entdeckten sie Lukrez’ lateinisches Lehrgedicht „De rerum natura“: Die von der epikureisch-atomistischen Philosophie geprägten Hexameter sprengten das enge christliche Weltbild und erweiterten den Horizont; der Mensch wurde zum Maß der Dinge; so urteilt Greenblatt, der führende Theoretiker des literaturwissenschaftlichen „New Historicism“.
Die Beiträge geben den neuesten Stand der Forschung bis in die Fußnoten hinein wieder, eine etwas frischere Sprache hätte jedoch manchen gut getan. Und Register würden den Lesern den Zugang erleichtern; sie fehlen auch bei den anderen hier besprochenen Büchern.

Wer einen knappen Überblick sucht, wird bei Daniel Gaschick und Christian Würtz fündig. Ihr Bändchen Das Konstanzer Konzil. Eine kleine Geschichte umfasst alle wesentlichen Stationen, Personen, Themen: Der römisch-deutsche Kaiser Sigismund von Luxemburg wollte die seit 1378 anhaltende Kirchenspaltung mit drei konkurrierenden Päpsten (Johannes XXIII., Benedikt XIII., Gregor XII.) überwinden, denn er hatte schon genug mit der weltlichen Unordnung zu tun: Im Osten drohten die Osmanen, im Westen hatte der französische König mit den Gegenpäpsten in Avignon ein eigenes Machtzentrum. Im Volk herrschte Untergangsstimmung, immer wieder flackerte die Pest auf, in den Straßen waren Flagellanten unterwegs und Bauern erhoben sich.
Zumindest die Einheit der Kirche (causa unionis) wurde in Konstanz 1417 durch die Wahl Martins V. zum alleinigen Papst wiederhergestellt. Daneben ging es um Glaubensfragen (causa fidei), die man mit der Verbrennung der tschechischen Ketzer Jan Hus und Hieronymus von Prag zu beantworten glaubte. Der kurze Prozess befeuerte indes die Hussitenkriege und ließ aus der Konstanzer Asche den Phönix Luther aufsteigen.
Schließlich stand die Kirchenreform (causa reformationis) auf der Tagesordnung, die zwar nur zu Ordensreförmchen führte, aber mit dem Dekret „Haec Sancta“ eine Magna Charta hervorbrachte, mit der sich das Konzil nun in Glaubensfragen über den Papst erhob. Wieder liegt eine Ironie der Geschichte darin, dass das Papsttum mit seiner Rückkehr nach Rom erstarkte und diese Mitspracherechte wieder aufhob. Zumindest aber wurde die Entscheidung, nach „nationes“ abzustimmen, prägend für die Vorstellung von einem pluralen Europa.
Der Konzilskosmos wird von den beiden katholischen Theologen in übersichtlichen Kapiteln, erklärenden Infoboxen, mit Karten und Bildern ausgebreitet. Insgesamt sind sie jedoch stärker an Glaubensdingen als am Alltagsleben interessiert.

Dieses schildern Thomas Martin Buck und Herbert Kraume in Das Konstanzer Konzil. Kirchenpolitik, Weltgeschehen, Alltagsleben ausführlich. Konstanz wurde als Konzilsort ausgewählt, weil es dem König als Reichsstadt unterstellt, zugleich aber als Bistum dem Papsttum verbunden war, es lag nahe an Italien, aber außerhalb des römischen Einflussbereichs. In der 6000 bis 8000 Einwohner zählenden Stadt kam es zu einem intensiven Kulturaustausch, denn zu den rund 2300 Konzilsteilnehmern im engeren Sinne gesellten sich bis zu 70 000 Gäste aus der ganzen damals bekannten Welt.
Die Stärken dieses Buches liegen in der Verknüpfung von genauer Analyse und übersichtlicher Darstellung. Hier sind zwei Geschichtsdidaktiker am Werk, die sich ebenso für die „Multilingualität“ des Konzils wie für die „Wohnungs- und Quartierfrage“ in der Stadt interessieren.

Gleiches Gewicht messen Jan Keupp und Jörg Schwarz in ihrem lebendig geschriebenen Buch Konstanz 1414–1418. Eine Stadt und ihr Konzil dem Kirchenereignis und seinem Schauplatz bei. Originalzitate zeigen das Geschehen plastisch, bisweilen auch drastisch, etwa die Verbrennung von Hus und Hieronymus. Auch „Augenschmaus und Sinnesfreude“ kommen bei den kenntnisreich und verständlich schreibenden Mittelalterhistorikern nicht zu kurz; zu den Konzilsgästen gehörten neben Bankiers, Bäckern oder Gauklern auch 700 Prostituierte.

An diese „Hübschlerinnen“ erinnert heute „Imperia“, die am Konstanzer Hafen thronende Statue des Bildhauers Peter Lenk: eine üppig dekolletierte Frau, die als wahre Königin des Konzils zwei nackte, mit Kaiserkrone und Tiara geschmückte Männlein auf Händen trägt. „Die schöne Imperia“ war nie in Konstanz, erst Honoré de Balzac hat sie in seiner Erzählsammlung Die tolldreisten Geschichten dorthin gebracht. Gern zitiert wird auch der im Sold Sigismunds angereiste Barde Oswald von Wolkenstein mit seiner auf den Bordellbetrieb gemünzten Sentenz: „Denk ich erst an den Bodensee, / Dann tut mir gleich der Beutel weh!“
Wolkensteins „Konstanzer Lied“ lässt sich ebenso wie ein Ausschnitt aus Balzacs Imperia-Erzählung nachlesen in dem von der Konstanzer Kulturamtsleiterin Waltraut Liebl und dem Journalisten Siegmund Kopitzki herausgegebenen Band Die Gans ist noch nicht gebraten. 600 Jahre Konstanzer Konzil – ein Lesebuch. Der Titel spielt auf eine Notiz von Hus an, dessen Name auf Tschechisch „Gans“ bedeutet.
Die Anthologie mag nicht so gelehrt daherkommen wie die historischen Abhandlungen. Aber sie lässt sich genauso zusammenhängend und anschaulich als Geschichte des Konzils lesen, widergespiegelt in Texten vom 14. bis zum 21. Jahrhundert: Hus’ Briefe aus dem Kerker finden sich neben Thomas Müntzers „Prager Manifest“; Stephen Greenblatt ist mit einem Auszug aus Die Wende. Wie die Renaissance begann vertreten, der große Konstanzer Mediävist Arno Borst beschreibt die Papstwahl; Egon Erwin Kisch geht den Spuren seines Landsmannes Hus nach, Dieter Kühn vergegenwärtigt seinen Protagonisten Wolkenstein; Pavel Kohout setzt wie Theresia Walser und Karl-Heinz Ott das Konzil theatralisch in Szene. Zusammen mit Texten von Nikolaus Lenau bis Bruno Epple, Rainer Maria Rilke bis Arnold Stadler, Gustav Schwab bis Bohumil Hrabal entsteht so ein abwechslungsreiches Mosaik des Konzils; in ihren stringenten Einleitungen zeigen die Herausgeber den historischen Zusammenhang und literarischen Kontext auf.
Nachwirkungen und Nachleben des Konstanzer Konzils fehlen in den vorgestellten Büchern zwar nicht ganz, aber es hätte sich sicher gelohnt, ihnen genauer nachzugehen: den Zeugnissen im Stadtbild, der Überlieferungsfolkore ums Dirnenwesen, dem Narrativ, das Konstanz mit kirchlicher Intoleranz, nicht aber mit humanem Fortschritt in Verbindung bringt. „Wir sind alle in die Geschichte hineingezogen“, schreibt Arnold Stadler in seinem Beitrag „Es war kein Liebeskonzil“ – ,,ob wir es wissen und wissen wollen oder nicht.“

 

Zum Weiterlesen:

Karl-Heinz Braun/Mathias Herweg/Hans W. Hubert/Joachim Schneider/Thomas Zotz (Hrsg.), Das Konstanzer Konzil. 1414–1418. Weltereignis des Mittelalters. Essays. Konrad Theiss Verlag/Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2013. 248 Seiten, 39,95 Euro

Daniel Gaschick/Christian Würtz, Das Konstanzer Konzil. Eine kleine Geschichte. G. Braun Buchverlag, Karlsruhe 2014. 136 Seiten, 16,95 Euro

Thomas Martin Buck/Herbert Kraume, Das Konstanzer Konzil. Kirchenpolitik, Weltgeschehen, Alltagsleben. Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2013, 392 Seiten, 26,99 Euro

Jan Keupp/Jörg Schwarz, Konstanz 1414–1418. Eine Stadt und ihr Konzil. Primus Verlag, Darmstadt 2013. 184 Seiten, 19,90 Euro

Waltraut Liebl/Siegmund Kopitzki (Hrsg.), Die Gans ist noch nicht gebraten. 600 Jahre Konstanzer Konzil – ein Lesebuch. Gmeiner-Verlag, Meßkirch 2014. 538 Seiten, 17,99 Euro

„Konstanz am Meer“ ist der Titel des „Himmelstheaters“ von Theresa Walser und Karl-Heinz Ott, das am 27. Juni im Rahmen der 600-Jahr-Feier in Konstanz unter der Regie von Johannes von Matuschka uraufgeführt wird. Das Theaterstück erscheint bei Klöpfer & Meyer, hat 160 Seiten und kostet 16 Euro.

Wolfgang Alber, geboren 1948, war langjähriger Redakteur beim Schwäbischen Tagblatt Tübingen und lebt als freier Autor in Reutlingen. Er ist (Mit)Herausgeber der Albgeschichten und der Geschichten aus Hohenlohe sowie von Gustav Schwabs Landschaftsbildern in der Kleinen Landesbibliothek bei Klöpfer & Meyer.

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1.2 M

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