Das äußere und das innere Fremde – Porträt der Autorin Nina Blazon

Von Ulrike Frenkel

Eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Eine zarte Elfe und eine milde Großmutter sind Moira und Aino, die beiden Hauptfiguren aus Nina Blazons Liebten wir, nicht. Aber die ruppige Kämpferin und die sturköpfige Alte, die sich während einer abenteuerlichen äußeren und inneren Reise gemeinsam auf die Suche nach den Ursachen ihrer seelischen Narben machen, werden anscheinend gemocht, gerade verkauft sich bereits die dritte Auflage des im Juni erschienenen Romans.

Es gibt allerdings auch LeserInnen, die mit dieser Darstellung von Frauen hadern, ihr Verhalten als zu direkt, unhöflich oder sogar als „unmöglich“ bezeichnen. »Wäre Aino ein Alfred mit weißen Bartstoppeln, gälte er wahrscheinlich als sympathisches ,Original’ oder echter ,Charaktertyp’. Es ist eben alles eine Frage der Perspektive, wie Moira sagen würde«, kommentiert die liebenswürdig zurückhaltende Autorin an ihrem Arbeitstisch mit Blick auf einen pittoresken Hinterhof im Stuttgarter Süden. Hier, in den Räumen einer Bürogemeinschaft von Freiberuflern, schreibt sie täglich um die acht Stunden und mit Erfolg: Nina Blazon wurde mit einigen Preisen ausgezeichnet und wird viel gelesen. Mehr als dreißig Fantasy-, Kriminal- und Historienromane für Jugendliche und mehrere Kinderbücher hat die 46-Jährige inzwischen bei großen Verlagen veröffentlicht.

In manchen Büchern stehen seltsame Fabelwesen im Mittelpunkt wie in Schattenauge, in anderen werden weibliche Figuren der Geschichte gewürdigt, etwa Kristina von Schweden in Der Spiegel der Königin. Immer aber geht es in Blazons Texten, „ohne dass ich das bewusst plane“, auch „um Gegensätze und Vorurteile. Darum, wie Menschen mit dem Fremden umgehen, mit dem Fremden, das von außen kommt, und dem Fremden in sich selbst“, erklärt die im slowenischen Koper geborene und bei Neu-Ulm aufgewachsene Slawistin und Germanistin. Ein existentielles Lebensthema ist das für sie, war sie doch zwischen drei Kulturen – ihre Eltern stammen aus verschiedenen Ländern des ehemaligen Jugoslawien – groß geworden und in den 1970er Jahren ohne Deutsch zu können in den Kleinstadtkindergarten von Burlafingen geschickt worden. „Der Eindruck, dass ich die Leute nicht verstehe, ist in meine Erinnerung eingegraben“, erzählt sie, und dass sie froh ist, „dass der Wechsel stattfand, als das Zeitfenster für den Spracherwerb noch weit offen stand“. In ihrer „erworbenen Muttersprache“ hat sie längst einen im Bereich Jugendliteratur ganz eigenen, ebenso vergangenheits- wie gegenwartsbewussten Stil entwickelt.

Der Sprachduktus in Liebten wir klingt an manchen Stellen noch ein wenig juvenil „flott“, ist aber von enormer psychologischer Tiefe und der Roman erstmals explizit für Erwachsene verfasst. „Ich hatte die Figur der Mo, einer Fotografin, die ständig versucht, durch ihre Linse hinter die Kulissen der Menschen zu schauen, und sich dadurch vom Leben fernhält, schon lange mit mir herumgetragen. Sie hat viel mit meinem Nachdenken über den Gewinn an Distanz und den Verlust an Wirklichkeit durch das Schreiben zu tun. Diese Komplexität hätte nicht in ein Jugendbuch gepasst“, sagt Nina Blazon. Als sie während einer Reise in Finnland Helsinki für sich entdeckte, „passte plötzlich dieser tolle Schauplatz zu meiner Protagonistin“. Sie begann dann, bewusst einen anderen Ton zu suchen, Szenen zu schreiben, die jenseits der Genregrenzen des Jugendbuchs spielen, „da hat man ja doch auch eine gewisse pädagogische Ausrichtung“. Gleichzeitig ergab es sich, dass Ullstein die Lizenz von Totenbraut kaufte und es als Erwachsenenbuch veröffentlichte, dem Trend folgend, dass Jugendbücher häufig von Frauen gelesen und deshalb auch als All Age-Titel vermarktet werden. Das führte zu der Anfrage, ob sich Nina Blazon denn einen weiteren Erwachsenentitel vorstellen könnte. Konnte sie – ums Geschichtenerfinden ist sie schließlich selten verlegen. „Es macht mich zu einem gewissen Teil aus, dass ich ständig beobachte und daraufhin meine Gedanken ablaufen. Vielleicht liegt das daran, dass ich als Migrantenkind immer zwischen Welten stand und nie wusste, verstoße ich jetzt gegen dieses oder jenes Gesetz, wie verhalten sich die Leute und warum? Das war ein ständiges Sortieren und Analysieren“, erklärt sie.

Und so wurde aus dem Nachdenken über die seelischen Schutzmechanismen einer Fotokünstlerin mit der Zeit und einiger Arbeit eine wirklich wilde, temporeiche und spannende Road Novel, in der zwei Frauen von einer deutschen Familienfeier zunächst unfreiwillig gemeinsam in Richtung Norden aufbrechen, dann langsam ein gewisses Interesse füreinander und irgendwann sogar so etwas wie eine Freundschaft entwickeln. Brechts „unwürdige Greisin“ trifft hier auf etwas abgewandelte „Thelma und Louise“-Reflexe, Filmstills aus Klassikern des Genres, etwa „Bonnie & Clyde“, begegnen wie immer von Blazon ausgezeichnet recherchierten und spannend aufbereiteten historischen Einblendungen.

Aino, so erfahren die Leser im Laufe der Zeit, will am Ende ihres Lebens nicht ins Seniorenheim, sondern in ihr Herkunftsland zurück, um für sich aufzuklären, was dort während des Zweiten Weltkriegs ihrer besten Freundin Matilda geschah, mit der sie gemeinsam bei den „Lottas“, einer nichtparteiischen Frauenhilfsorganisation, gearbeitet hatte und für die sie mehr Gefühle hegte, als sie sich einzugestehen vermochte. Und auch Mo ringt mit der Liebe und hat eine lange Jahre gut gehütete Leiche im Keller, weiß sie doch nicht, wie um das Jahr 1989 herum ihre Mutter zu Tode kam und was der aus Ungarn stammende Vater vor ihr verbirgt.

Dass beide Figuren nicht auf den ersten Blick sympathisch wirken, war der Autorin beim Schreiben durchaus klar, ganz bewusst hat sie sich an ein etwas anderes Frauenbild abseits der immer noch dominierenden Geschlechterklischees gewagt. „Beide sind direkt und manchmal auch brutal ehrlich“, gesteht sie, „ich wollte auf keinen Fall so eine Weichspül-Omi haben, die man gernhaben kann, weil sie kauzig ist und harmlos.“ Aino, „die Alte“, stellt sich ihrer harten Vergangenheit, wird dadurch und durch ihren Charakter eine Herausforderung für ihre Umwelt, Sohn, Schwiegertochter und Enkel inklusive. „Sie ist alles andere als das literarische Klischee der niedlichen Alten, die zur Liebe hinführt. Ich gestehe ihr mehr Kante zu. Und die Junge ist ja auch nicht ohne. Sie tritt nicht automatisch zurück, ist nicht ständig freundlich und sanft.“

Bei einer Internet-Leserunde mit Liebten wir entspannen sich unter den Teilnehmern deshalb hitzige Diskussionen darüber, ob sich Frauen so benehmen dürfen wie die Figuren im Roman. Nina Blazon wird an dieser Frage sicher weiterarbeiten und möchte künftig auch häufiger für Erwachsene schreiben. „Ich bin jetzt mit Mitte vierzig an einem Punkt, an dem ich mich frage, was hört auf, was nehme ich mit, was kommt Neues“, sagt sie. Sicher scheint der Schriftstellerin dabei im Moment nur, dass sie ihre persönliche und literarische Suche in Stuttgart weiterführen will. „Hier fühle ich mich zuhause, das ist meine Stadt, sie ist schön und lebendig. Finden Sie auch, dass der Himmel hier so klar ist?“

Zum Weiterlesen:

Liebten wir. Roman. Ullstein, Berlin 2015. 553 Seiten, 9,99 Euro

Der Winter der schwarzen Rosen. cbt, München 2015. 544 Seiten, 16,99 Euro

Im Bann des Fluchträgers. Süddt. Zeitung, München 2009. 400 Seiten, 8,90 Euro

Weitere Informationen unter www.ninablazon.de (Jugendbuch) und www.ninablazon.com (Erwachsenenbuch)



Ulrike Frenkel, Jahrgang 1962, lebt nach fünfzehn Jahren in Oberbayern seit kurzem wieder in Stuttgart. Sie schreibt als freie Journalistin für verschiedene Zeitungen über Literatur-, Medien- und Gesellschaftsthemen.

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