Großes Schlemmermahl der Sprache – Ein Porträt des Shakespeare-Übersetzers Frank Günther

Von Irene Ferchl

»O Du Einzigartiger, Du Weltweiser, Du Weltschöpfer, Du Weltverzauberer, Du Menschheitserfinder, Du Seelenabgrundergründer, Du Alles-immer-schon-gewusst-Habender, Du Alles-Beweisender, Du Halt in Untiefen, Du Leuchtfeuer im Grauen der Welt, Du Mein-dein-sein-unser-euer-ihr-Shakespeare« …
(Aus der »Zueignung« von Frank Günther)

Was? Den ganzen Shakespeare?! Alle Theaterstücke und die Sonette und die Versdichtungen? Und alles allein?! Wieland hat es nicht geschafft, Schlegel und Tieck schon gar nicht. Frank Günther hingegen ist beinahe fertig, nur die nichtdramatischen Dichtungen stehen noch aus.

Aber fangen wir am Anfang an.

Vor über vierzig Jahren, also etwa Mitte der 1970er Jahre, beschloss ein Theatermann, sein Leben dem bedeutendsten Dramatiker zu verschreiben – nicht auf den Brettern der, sondern für die Bühne: als Übersetzer. Wobei er selbstverständlich von seinen Erfahrungen als Regisseur und seinem Spaß an der Sprache profitiert.

Eigentlich sei es, wie so vieles im Leben, ein Zufall gewesen, erzählt Frank Günther. Er hatte ein paar Texte von Zeitgenossen Shakespeares übersetzt, wurde daraufhin von seinem Theaterverlag aufgefordert und machte sich zuerst an die Komödie »Much Ado about Nothing«, »Viel Lärm um nichts«. Wie im Rausch habe er gearbeitet und innerhalb von zwei Wochen die Übersetzung fertiggestellt – normalerweise benötigt er ein halbes Jahr.

»Viel Lärm um nichts« wurde dann mehrere Male gespielt, ein nächstes Stück folgte und wieder eins. Keine zwei Stücke von Shakespeare glichen sich, sagt Frank Günther, in jedem versuche er, dem, was die Welt im Innersten zusammenhält, auf die Spur zu kommen. Und die Wort-Musik dieses Ein-Mann-Orchesters, das ein Konzert der Stimmen in einem unendlichen Strom der poetischen Metaphern erzeuge,  seinerseits zum Klingen zu bringen.

Gern erlaubt Frank Günther bei seinen Auftritten einen Blick in die Werkstatt. Das klingt dann etwa so, wenn, eben in »Viel Lärm um nichts«, die Figuren mit Fremdworten kämpfen: »Zwei sehr subalterne Wachtmeister oder Büttel, Schlehwein und Holzapfel genannt, die nach unten gern treten und nach oben immer buckeln und, um bedeutend zu wirken, sich ,höherer Sprache’ bedienen, als sie ihnen eigentlich zur Verfügung steht, ein Konflikt, linguistisch gesehen, zwischen angemaßtem, elaboriertem Sprachcode einerseits und stark restringierter Sprachkompetenz andererseits; im Schwäbischen nennt man das ,mit die große Hund soicha welle, aber’d Fuaß it verlupfa’ – ins Deutsche übersetzt: ,Mit den großen Hunden pinkeln gehen wollen, aber das Bein nicht hoch genug bekommen’. Die beiden Wachtmeister richten mit den zu Shakespeares Zeiten berüchtigten "inkhorn terms", den schweren Fremdwörtern, im Englischen unglaublichen Unsinn an. So hatte ich mich bemüht, die beiden tapferen Polizisten entsprechend unglaublichen deutschen Unsinn reden zu lassen, und das klingt dann etwa so, wenn sie ein paar noch simplere Hilfspolizisten zum Dienst vergattern: ,Herhören, Leute! Wer hat hier die höchste Konsistenz zum Wachtmeister? Wir meinen, daß SIE die richtige Quantifikation zum Nachtwächter haben. Wer als Wachtmann vereidigt wurde, muß die amtlichen Statuen kennen. Euer Auftrag: Alle verdächtigen Exkremente festnehmen. Also los, Leute, ihr habt die Konstruktionen – bei einem Verhör muss man mit Delikatessen ans Werk gehen! Das sind notarische Kriminaler … Oh, Durchlaucht, hier der Schlehwein ist ein alter Mann, Herr, aber sein Verstand ist nicht so dumpf, wie ich ihm das wünsche, und sonst hat er eine ehrliche alte Haut, eine treue Seele, wie je nur eine das Brot gebissen und ins Gras gebrochen hat, Euer Ehren.’«

Zu seiner nicht geringen Irritation musste Frank Günther dann in einer Internet-Rezension lesen, die deutsche Übersetzung sei derart schlecht, dass man glaube, der Übersetzer sei der deutschen Sprache nicht mächtig.

Sprachbesoffene Wortverdrehungsmaschine

Derartige Zweifel an seiner Qualifikation können nur einem fatalen Irrtum oder einer nostalgischen Hörigkeit gegenüber den alten (vielfach lückenhaften und entschärften) Wieland-Schlegel-Übersetzungen entspringen.

Inzwischen wurde Frank Günther für seine Übertragungen jedenfalls mit den drei renommiertesten Preisen seiner Zunft ausgezeichnet, mit dem Christoph-Martin-Wieland-Preis (2001), dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis (2006) und dem Johann-Heinrich-Voß-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (2011). In seiner Laudatio würdigte Denis Scheck, dass wir in den deutschen Sätzen Frank Günthers »ein zeitgenössisches Deutsch erkennen, ohne jede plumpe zeitgeisthörige Aktualisierung, ohne Hiphop und anderen Heckmeck. Seine Version transportiert Shakespeare in unsere Gegenwart, ohne billige Einebnung oder entstellende Transformation oder, in Shakespeares Worten: without lies or mistakings.«
»Ich versuche, den Text zu verstehen, und das, was ich verstanden habe, in meiner eigenen Sprache verständlich wiederzugeben«, hat Günther mit typischem Understatement in einem Selbstinterview über die Aufgabe, einen neuen deutschen Shakespeare zu schaffen, bekannt. Dafür hat er generelle Entscheidungen treffen müssen, die mindestens auf den zweiten Blick einleuchten: die Anrede »Sie« und »Du« statt »Ihr« und »Euch« zu verwenden, was Nähe statt eines distanzierenden Schleiers schafft. Vor allem hat er sich entschlossen, dem Englisch der Shakespeare-Zeit einen angemessenen Sound zu geben, dieses ­– vor der Kodifizierung in einem Wörterbuch – »aufregend instabile, brodelnde Gebräu«, offen für alle möglichen Idiolekte, Soziolekte und Regiolekte, schillernd und experimentierend. Oder, um noch einmal aus der Dankesrede zu zitieren: »Shakespeare, der Texteschreiber für das vulgäre Jahrmarktsbudentheater im Bordellviertel, suhlte sich geradezu in jenem sprachlichen Sumpf, wühlte wie ein Trüffelschwein in jenem brodelnden Englisch nach den exquisiten, quecksilbrig gleitenden Sinnmetamorphosen der Signifikanten, die unbeschwert ihre Signifikate tauschten – und er brachte ihnen lustvoll das Tanzen bei.«

Shakespeares Sprach-Hexen-Einmaleins ins Deutsche bringen

So vergnüglich und lehrreich wie Frank Günthers Live-Auftritte ist die Lektüre seines  Buchs Unser Shakespeare, das erstmals zum 450. Geburtstag erschienen und nun zum 400. Todestag als Taschenbuch wiederaufgelegt worden ist und, wie der Untertitel verspricht, »Einblicke in Shakespeares fremd-verwandte Zeiten« gewährt. Wie der elisabethanische Dramatiker durch Lessing und Goethe, Wieland, Schlegel und Tieck zu unserem dritten (»gekidnappten«) Klassiker geworden ist, behandeln die ersten Kapitel, weitere thematisieren das Weltbild, die Gesellschaft, das Theater des ausgehenden 16. Jahrhunderts; Shakespeares Leben und Wirken kommen nicht zu kurz, genauso wenig seine Figuren und Rezeption durch die Zeiten, die Übersetzungen – eigentlich bleiben wenige Fragen unbeantwortet, wenn man das angesichts der Lawine von Sekundärliteratur behaupten darf. Eine kleine rotgebundene Bibel, Shakespeares WortSchätze, hat Günther zum Jubiläum vor zwei Jahren ebenfalls herausgegeben, eine nach Stichworten von »Was ist Liebe?« über »Spruchbeuteleien« und »Hexen, Kobolde und Feen« bis »Oft gehört, gern zitiert« sortierte Sammlung von Zitaten und geflügelten Worten, selbstverständlich zweisprachig. Wie auch die Ausgaben der Werke von William Shakespeare – sowohl in der Taschenbuch- wie der schön gebundenen Ausgabe – parallel zweisprachig gedruckt und mit Nachworten von Wissenschaftlern versehen sind.

Auf die Frage, ob er sich nach der jahrzehntelangen Beschäftigung mit William Shakespeare vorstellen könne, wie der denn so war, antwortete Frank Günther, er habe keinen blassen Schimmer, ihn interessiere das Werk, nicht die Biografie, so wie es auch dessen Zeitgenossen gehalten haben. Aber die Vorstellung, wer von den beiden, der Klassiker oder der Übersetzer, bei einer Begegnung das letzte Wort hätte, ist durchaus reizvoll. Eines von Günthers Lieblingszitaten stammt aus der, von ihm zuallererst übersetzten Komödie »Viel Lärm um nichts«: »Man reiche ihm einen neuen Witz, sein letzter war faul.«

 

Zum Weiterlesen:

Frank Günther, Unser Shakespeare. Einblicke in Shakespeares fremd-verwandte Zeiten. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2014. 335 Seiten, 9,90 Euro

Shakespeares WortSchätze. Englisch – Deutsch. Mit einem Nachwort herausgegeben von Frank Günther. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2014. 223 Seiten, 9,90 Euro

Die 21-bändige Shakespeare-Edition bei dtv mit allen großen Tragödien und Komödien ist abgeschlossen. Bei Ars Vivendi erscheinen noch die Bände 34 bis 39: König Johann, Perikles, Fürst von Tyrus, Sonette und Nichtdramatische Dichtungen.

Eine abenteuerliche Reise in Shakespeares Sprachkosmos mit Frank Günther ist am 27. April um 20 Uhr im Backnanger Bürgerhaus zu erleben.
www.backnanger-buergerhaus.de

 

Irene Ferchl, Jahrgang 1954, lebt in Stuttgart als Kulturjournalistin, Autorin literarischer Reiseführer und Herausgeberin des Literaturblatts für Baden-Württemberg. Soeben ist ihr Buch Über das Land hinaus. Literarisches Leben in Baden-Württemberg bei Klöpfer & Meyer erschienen.

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